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Geistiges = Eigentum?

Der Streit, ob der Begriff „geistiges Eigentum“ oder „Eigentum“ berechtigt sei, wird nunmehr seit über drei Jahrhunderten geführt. Spätestens 1706 traten die englischen Verleger auf und behaupteten, das Monopol sei ihr Eigentum (Reasons Humbly Offered ..."1). Seitdem haben sich viele mit dem Begriff beschäftigt. Zumeist wurde der Begriff nach einer genaueren Analyse als wenig passend verworfen.

Gibt es geistiges Eigentum? Selbstverständlich. Es wäre aber sinnvoll, wenn man sich einmal darauf einigen könnte, was es genau sein soll. Hier scheinen mehrere Auffassungen zu existieren, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen, beispielsweise:

  • John Locke: Mein Körper ist mein Eigentum. Alles, was ich produziere, ist folglich auch mein Eigentum. Das gilt auch für das Geistige, das zu geistigem Eigentum führt (dieser letzte Schluss stammt dann nicht mehr von John Locke, der „Eigentum im Sinne der britischen Verleger (copyright) als lächerlich und absurd bezeichnete).
  • Immanuel Kant: Mein Körper ist nicht mein Eigentum (denn das bin ich und Eigentum an Personen erinnert doch stark an Sklaven). Kant hat Eigentum an Texten abgelehnt und sich eine eine eigene Konstruktion überlegt (Bilder durfte man kopieren und Texte Dritter bearbeiten und verändern).
  • Hegel differenzierte: Meine Fähigkeit, einen Text zu schreiben oder eine Melodie zu komponieren ist mein Eigentum. Aber das ist kein juristisches Eigentum, sondern ein persönliches Vermögen im Sinne von persönlichem Können oder einer persönlichen Fähigkeit. Rechtliches Eigentum könnte als Vorbehalt entstehen, andere dürften nicht das gleiche herstellen wie ich.
  • Nahezu sämtliche deutsche Juristen seit 1850 bis weit in das 20 Jahrhundert hinein: Geistiges Eigentum ist der falsche Begriff. Wir sprechen besser von gewerblichem Rechtsschutz und Urheberrecht (oder neuerdings Immaterialgüterrecht, das aber vergleichbar irreführend ist).

Lassen wir einmal die persönlichen Fähigkeiten außen vor und konzentrieren uns auf den rechtlichen Aspekt. Geistiges Eigentum umfasst im üblichen Verständnis das Urheberrecht und die verwandten Leistungsschutzrechte, das Patentrecht, das Markenrecht und einige weniger bekannte Typen wie Sonderrechte an Geschmacksmustern, Gebrauchsmustern, Saatgut, Halbleitern und Typographien. Computerprogramme hat man dem Urheberrecht zugeschlagen, aber zu weitgehend abweichenden Bedingungen.

  1. Neuerdings wird die Absurdität vorgebracht, geistiges Eigentum sei ein Menschenrecht. Dann müssten allerdings Sony, Siemens, IBM, Bertelsmann (Random), Hachette, Penguin, Disney, Microsoft, Viacom etc. sehr menschlich sein, weil sie ja ganz viele Menschenrechte ihr eigen nennen. Umgekehrt fragt man sich auch, wieso so viele Urheber für eine Umsatzbeteiligung von fünf oder zehn Prozent auf ihre Menschenrechte verzichten. Und ganz schlimm, vor allem für die Drehbuchautoren: Bei Filmen ist sogar gesetzlich die Übertragung dieses Menschenrechts auf den Filmhersteller als Regelfall vorgesehen. Wer Filmhersteller ist, richtet sich nicht danach, wer einen künstlerisch-schöpferischen Beitrag zur Herstellung des Films geleistet hat, sondern wer das unternehmerische Risiko für die Filmherstellung trägt. Nicht die Linken, Piraten oder Grüne wollen das angebliches Menschenrecht wegnehmen. Das ist schon im Gesetz so vorgesehen (und einer der wenigen, der sich dagegen ausspricht, bin ich).
  2. Sicher: Die sogenannten Persönlichkeitsrechte bleiben bei dem Urheber (im kontinentaleuropäischen System, droit moral, nicht in den USA). Aber bei Filmen hat auch der deutsche Gesetzgeber die Persönlichkeitsrechte kastriert: Die an der Herstellung eines Film beteiligten Urheber dürfen „nur gröbliche Entstellungen oder andere gröbliche Beeinträchtigungen ihrer Werke oder Leistungen verbieten“ lassen. Sie müssen dabei zusätzlich auf die anderen beteiligten Urheber und auf den Filmhersteller angemessene Rücksicht zu nehmen (wobei man sich auch fragen muss: Wenn die Entstellung so grob sein muss, stammt es dann überhaupt noch von dem angeblichen Urheber?). Aber um den persönlichkeitsrechtlichen Teil des Urheberrechts geht es bei den Kopien im Internet nicht (bzw. erst bei den Remixes), sondern um die Verteilung des Umsatzes (von dem die Urheber bei einer freien Kopierbarkeit wahrscheinlich kaum einen Cent sehen würden). Aber von einem Menschenrecht auf gesicherte Einnahmen durch den kapitalistischen Markt – davon träumt wahrscheinlich jeder arme Wurm – ist illusionär (in der Menschenrechtserklärung steht auch was vom angemessenen oder gleichen Lohn für gleiche Arbeit – und wir wissen, wie es darum steht).
  3. Die nächste sprachliche Absurdität ist das Stehlen von geistigem Eigentum oder Varianten davon. Hier offenbart sich einer der Hauptmängel beim allgemeinen Verständnis des geistigen Eigentums. Das geistige Eigentum ist nicht der Text, ist nicht das Bild, ist nicht der Film, ist nicht die Musik und ist auch nicht der vom Urheberrecht geschützte Kinderstuhl. Es ist ein mythisch verklärter, aber ebenso grober Irrtum, zu glauben, das geistige Eigentum könne mit dem Werk gleichgesetzt werden. Dementsprechend ist auch die Aussage, die wollen mein Recht an meinem geistigen Eigentum beschneiden, wenig sinnvoll, denn wenn man das Recht reduziert, reduziert man zugleich das geistige Eigentum.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die typische Geschichtsdarstellung zum kontinentaleuropäischen Recht: Es wird regelmäßig wiederholt, das kontinentaleuropäische Urheberrecht – droit d'auteur und droit moral – sei in der französischen Revolution entstanden (sozusagen zusammen mit der Menschenrechtserklärung). Das macht das Urheberrecht sympathisch, ist aber falsch.

Da gab es im Prinzip nicht viel Revolutionäres. Es wurde nur die alten (königlichen) Druckprivilegien per Gesetz erteilt (bzw. die alten Theaterprivilegien, dies war das erste Gesetz von 1791), allerdings mit der Besonderheit, dass der erste Rechtsinhaber der Urheber war. Das wiederum ist eine logische und damit banale Sache, denn irgendwem muss man das Recht ja zuordnen. Damit dies unter der Prämisse, dass  alle Menschen gleich sind, per Gesetz  geschehen kann, braucht man für die Zuordnung eines Rechts ein überprüfbares abstraktes Kriterium. Geändert hat sich die Methode der Rechtssetzung, jedoch nicht das eigentliche Recht.

Nach dem moralischen Recht, also dem Persönlichkeitsrecht, kann man lange suchen. Vielleicht findet es noch jemand in in den alten Texten (so wie regelmäßig Kant unterstellt wird, er habe geistiges Eigentum oder ein Persönlichkeitsrecht für Autoren im Hinblick auf ihre Arbeitsergebnisse befürwortet).

Art. 1:
Les auteurs d'écrits en tout genre, les compositeurs de musique, les peintres et dessinateurs qui feront graver des tableaux et dessins, jouiront, durant leur vie entière du droit exclusif de vendre, faire vendre, distribuer leurs ouvrages dans le territoire de la République, et d'en céder la propriété en tout ou en partie.

Nach dem franz. Gesetz von 1793 waren Pflichtexemplare abzugeben, damit das proprité littéraire et artistique in Kraft trat. Das Recht entstand also auch erst, nachdem die Pflichtexemplare abgeliefert wurden.

Art. 6:
Tout citoyen qui mettra au jour un ouvrage, soit de littérature ou de gravure, dans quelque genre que ce soit, sera obligé d'en déposer deux exemplaires à la Bibliothèque nationale ou au cabinet des estampes de la République, dont il recevra un reçu signé par la bibliothèque; faute de quoi, il ne pourra être admis en justice pour la poursuite des contrefacteurs.

1)
„obtained a Property in Copies of such Books“ Im damaligen Sprachgebrauch bedeutete der Begriff Copy das exklusive Recht, ein Buch zu verbreiten

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