4 Deutschland − Staatenwettbewerb
4.4 Privilegienzeit
4.4.8 Zweck der Privilegien
Unter den Spätscholastikern, oft eifrige und geistreiche Autoren, spielte das exklusive Recht am Geistigen offenbar kein besondere Rolle. Sie waren sich im Grundsatz einig: Monopolprivilegien seien nur dann gerechtfertigt, wenn sie dem Gemeinwohl dienten, wobei neben den Buchdruckern typischerweise die Gastwirte als Beispiele genannt wurden. Würden die Privilegien zum Schaden der Untertanen erteilt werden, würde der Fürst sich schwer versündigen und sei – neben den Monopolinhabern – zum Schadensersatz verpflichtet, so Molina in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.1)
Fritsch führte aus, die Privilegien seien zwar verhasst und den nach römischen und deutschen Gesetzen verbotenen Monopolen ähnlich, könnten gleichwohl gerechtfertigt sein. Die Billigkeit würde es nicht zulassen, dass der eine für das Verlegen eines Buches hohe Kosten aufgebracht habe, um mit seiner Arbeit einen Profit und eine Belohnung zu erlangen, dieser Hoffnung jedoch durch das Unternehmen eines anderen Buchdruckers beraubt und nicht selten sogar in Armut gestürzt werde. Außerdem würde durch das Privileg für die Buchführer ein Anreiz geschaffen, »auf ihre Kosten gelehrter Leute Schrifften und Wercke zum Druck zu befördern.« Schließlich sei die Dauer der Privilegien befristet; sie könnten so »dem gemeinen Wesen um so weniger Schaden thun.« Würden die Privilegien unbefristet oder unwiderruflich erteilt werden, sei die Gefahr eines Missbrauchs zum allgemeinen Schaden hoch.2)
Dies war keine Adaption der Arbeitstheorie oder der utilitaristischen Rechtfertigung des Statute of Anne (Fritsch hatte seinen Text schon 1675, also 15 Jahre vor der Publikation der Two Treatises, veröffentlicht).3) Der Unterschied zur Einordnung des bearbeiteten Objekts als Eigentum aus naturrechtlichen Gründen bei Locke (der aber im Hinblick auf den Nachdruck auch nicht die Arbeitstheorie anwandte) liegt darin, dass Fritsch von einem zu gewährenden monopolähnlichen Recht spricht und keine Gleichstellung dieses Rechts mit einem urwüchsigen Eigentum vollzieht. Es war aber auch zu Fritsch' Zeit keine neue Begründung (und sie wird noch heute unter dem Stichwort Trittbrettfahrer regelmäßig vorgebracht).
Lohn für besondere Leistungen
Privilegien sollten in der Regel den Lohn für besondere Leistungen der Autoren, Bearbeiter und Drucker, die Früchte der Arbeit, sichern.4) So hieß es beispielsweise im 1537 von Karl V. erteilten Privileg zu Gunsten Johann Walderus, der Drucker solle vor Nachdruck bewahrt werden, um nicht um die Früchte seiner Arbeit und Bemühungen gebracht zu werden.5)
Luxusobjekte
Die Mühe und Arbeit der Autoren und die der Drucker wurden gleich behandelt, jedoch war das Erscheinen als Druckwerk entscheidend für das Recht.6) Für nützliche, kleine Bücher, deren Druck keine hohen Kosten verursachen würde, sollen nach Fritsch keine Privilegien erteilt werden, da es nicht selten geschehe, dass »durch den Mißbrauch dergleichen Pieçen ertheilten Privilegien, solche um einen unbilligen Preiß taxirt und verkaufft werden.«7)
Dies kann man durchaus modern verstehen: Wenn ein Drucker viel investiert hat, sollte seine Investition gegen den Wettbewerb mit einem billigeren, aber qualitativ schlechteren Nachdruck geschützt werden. War die Investition hingegen niedrig, entfiel die Notwendigkeit eines Wettbewerbsverbots, denn der Nachdrucker konnte in der Regel auch nicht billiger anbieten. Bei geringen Kosten bestand in besonderem Maße die Gefahr, dass das Privileg nur dazu genutzt wurde, einen im Vergleich zu den Kosten überhöhten Preis zu verlangen.
Das Privileg war kein allgemein gültiges Recht, sondern trotz der Regelmäßigkeit bei der Erteilung und des oft gleichförmigen Wortlauts ein Sonderrecht, das als Förderinstrument für alle möglichen gewerblichen Tätigkeiten in Betracht kam und entsprechend den Anschauungen der Zeit und denen der zuständigen Personen einem Wandel unterlag. Es wurde also kein abstraktes Recht für das Werk erteilt; vielmehr wurde die Ausführung des Drucks dem Verleger oft sogar als Pflicht auferlegt.8) Der Nichtgebrauch eines Privilegs war neben Verzicht, Missbrauch oder Zeitablauf allgemein, also nicht nur bei den Druckprivilegien, ein Grund für deren Beendigung.9) Bei den kaiserlichen und den meisten landesherrlichen Privilegien war zudem die Verpflichtung zur Abgabe von Pflichtexemplaren ein Bestandteil des Privilegs, und diese konnten nur abgegeben werden, wenn das Werk gedruckt war. So wurde Zedler im genannten preußischen Privileg verpflichtet,
bey Verlust dieses Privilegii auch schuldig und gehalten seyn, vorgemeldtes Buch sorgfältig corrigiren und aufs sauberste drucken zu lassen, auch davon Drey vollständige Exemplaria, so wie die Theile nach einander in Druck heraus kommen, als ein Exemplar vor Unser Lehns-Archiv, eins vor Unsere Bibliothec, und eins vor Unsere Societät der Wissenschafften, auf seine Kosten hieher einzuschicken.
Durch ein kaiserliches Privileg sollte der Nachdruck bis in das 17. Jahrhundert hinein im ganzen Gebiet des Deutschen Reichs verboten sein.10) Bis zu dieser Zeit war das Recht des Kaisers, Privilegien für ganz Deutschland zu erteilen, weitgehend unbestritten. Das Privileg war wegen der unbedingten Anweisung an jede Obrigkeit zur Einziehung der verbotenen Schriften und der Strafdrohung eine Art Vollstreckungstitel, der unmittelbares Einschreiten – insbesondere auf der Messe – erlaubte (dies wurde auch so praktiziert). Im Dreißigjährigen Krieg waren Privilegien jedoch kaum das Papier wert, auf das sie geschrieben waren. Im Laufe der Zeit wurden die Befugnisse des Kaisers in den Wahlkapitulationen nach und nach auf die Landesfürsten übertragen; die großen Fürstentümer handelten immer mehr wie souveräne Staaten, was 1740 in innerdeutsche Kriege mündete.
Nach dem Westfälischen Frieden hatten die kaiserlichen Privilegien für Bücher in der Praxis nur noch für die Reichsstädte, insbesondere für die Frankfurter Messe, Bedeutung. Sie wurden selbst in den habsburgischen Erblanden nicht beachtet. Ein Nachdruckverbot konnte noch in den einzelnen Ländern durch von den betreffenden Landesherren erteilte Privilegien erwirkt werden.11) führt aus, dass das Privileg im jeweiligen Land »dem privilegierten Verleger ein eigenthümliches Verlagsrecht an diesem Werke gab, das sonst der allgemeinen natürlichen Verlagsfreiheit unterworfen gewesen wäre.«
Ein Beispiel: Der erste Band des Universallexicon Zedlers, das in Preußen und vom Kaiser im April 1731 privilegiert worden war, wurde in Kursachsen auf der Michaelismesse (Herbst) 1731 angeboten. Die Leipziger Verleger Gleditsch und Fritsch' Erben, die die Privilegienerteilung in Sachsen durch einen Einspruch verhindert hatten, sorgten dafür, dass die Auflage in Leipzig trotz kaiserlichen Privilegs beschlagnahmt wurde, da angeblich zahllose Artikel abgeschrieben waren.12) Fritsch' Erben wandten sich gegen das Erscheinen von Zedlers Universallexikon (ohne Kenntnis des Inhalts), da Zedlers Lexikon nur geschaffen werden könne, wenn das Fritsch'sche Lexikon als Grundlage genutzt werde. 1732 erschien die auf den Streit zwischen den Verlegern um das Universallexicon gemünzte Charlatanerie des Nachdrucks – angeblich in 2. Auflage (eine erste ist nicht bekannt) – die dann »schon vollständig die Luft des kommenden Nachdruckzeitalters« atmet.13) Birnbaum, Johann Abraham Johann Abraham Birnbaum nahm diese auf und verfasste eine unter den Urheberrechtsgeschichtlern bekannte Schrift unter dem Titel: Eines Aufrichtigen Patrioten Unpartheyische Gedancken über einige Quellen und Wirckungen des Verfalls der ietzigen Buch-Handlung, Worinnen insonderheit Die Betrügereyen der Bücher-Pränumerationen entdeckt, Und zugleich erwiesen wird, Daß der unbefugte Nachdruck unprivilegirter Bücher ein allen Rechten zuwiederlauffender Diebstahl sey.
Die sächsischen Beamten behandelten die nur kaiserlich privilegierten Bücher, als wären sie überhaupt nicht privilegiert, um die eigenen Verleger zu fördern oder um einen Antrag auf ein Privileg im eigenen Territorium, verbunden mit der Abgabe von Pflichtexemplaren und der Zahlung von Gebühren, zu erzwingen.14)
Am meisten nachgefragt waren neben den kaiserlichen die Privilegien aus den großen Staaten Kursachsen (diese galten zeitweilig auch für Polen), Brandenburg und Bayern (Pfalz). Nach dem Ende des alten Reichs 1806 gab es keine Möglichkeit mehr, für den gesamten Deutschen Bund mit nunmehr nur noch 39 Bundesstaaten ein Verbotsrecht durch eine staatliche Maßnahme zu erlangen. Goethe beantragte 1825 zwar bei der Bundesversammlung ein Privileg für eine neue, vollständige Ausgabe seiner Werke (die berühmte Ausgabe letzter Hand), die ihm in allen Bundesstaaten das Nachdruckverbot sichern sollte. Aufgrund der Souveränität der Bundesstaaten konnte dieses aber nicht erteilt werden15), sondern musste bei den einzelnen Bundesstaaten beantragt werden.
In dem Zeitraum war das Raubkopieren oft genug nicht rechtswidrig, der aus heutiger Sicht rechtmäßige Druck hingegen konnte rechtswidrig sein. Fälle, in denen mangels allgemeingültiger Kriterien nicht bestimmt werden konnte, wer Drucke berechtigt vertrieben hatte, waren keine Seltenheit. Dies konnte zu Kollisionen führen, etwa wenn der Vertrag mit dem Autor, der Erstdruck oder verschiedene Privilegien aufeinander trafen. Einige Beispiele zeigen dies.
- Dem Baseler Drucker Froben war 1533 ein kaiserliches Privileg für ein Werk von Flavius Josephus erteilt worden. Er verklagte den Kölner Drucker Hüttorp, weil dieser das Werk 1534 gedruckt hatte (dieser Druck war eine Neuauflage). Hüttorp verteidigte sich mit dem Argument, er habe als Erstdrucker das bessere Recht.16)
- Der Erfurter Verleger Weber hatte von Kursachsen 1765 ein Privileg für den Druck der Heilsverordnung des Autors Stark erhalten. Die Gebrüder Halle aus Brandenburg hatten mit dem Autor einen Verlagsvertrag und waren von diesem zum Druck berechtigt worden. Auf der Leipziger Messe vereinbarten die Gebrüder Halle die Verrechnung von Forderungen mit der Lieferung von fünfzig Exemplaren der Heilsverordnung. Sie wurden auf der Grundlage des kursächsischen Mandats 1773 in Kursachsen wegen des Verrechnens mit rechtswidrig gedruckten Werken bestraft. Die Strafe wurde auf eine Beschwerde der Gebrüder Halle zwar erlassen, ihr Antrag, die Drucke des Verlegers Weber zu beschlagnahmen jedoch abgelehnt und das Privileg nicht aufgehoben.17) Die Geschichte war damit noch nicht zu Ende, sondern führte zu einem lang dauernden Schriftwechsel zwischen dem preußischen und dem sächsischen Ministerium über die Frage des Nachdrucks von Werken aus Nachbarstaaten. 1776 gestanden die Sachsen auch den preußischen Verlegern Rechte gegen den Nachdruck zu.
- Einen instruktiven Fall schildert Wadle18) Dem stand ein kurpfälzisches Privileg von 1776, 1781 veröffentlicht, entgegen, nach dem »niemand ausser ihm Michael Goetz und dessen Associés allein, so viel er deren überkommen wird, in samtlich Kurpfälzischen Landen, weder eine Musikstecherei anzulegen, noch mit gestochenen oder gedruckten Musikalien Handel zu treiben gestattet seyn solle. Wir erweitern nun solches weitres dahin, daß diesen Goetz und Associés allein mit allen gestochenen oder gedruckten Musikalien den Handel zu treiben erlaubt seyn soll, wenn auch diese Musikalien andertwo, sowohl inner- als ausser Lands gestochen oder gedruckt seyn werden.« Dieses Produktions- und Handelsmonopol wurde 1782 nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg auf die bayerischen Lande erweitert, nachdem der kurpfälzische Kurfürst Karl IV. TheodorKarl IV. Theodor den letzten bayerischen Wittelsbacher beerbt hatte. Es handelte sich bei beiden Privilegien nicht um typische Nachdruckverbote, sondern um Generalprivilegien. So hatte der Wiener Reichshofrat Bedenken, das Privileg zu erteilen. Es sollten alle im Verlag Artaria & Associés erschienen Kupfer- und Schwarzkunststiche erfasst sein, obwohl diese privilegia exclusiva nicht mehr erteilt wurden, teils aufgehoben seien, teils aufgehoben wurden. Allerdings lag eine Genehmigung des Kaisers vor, so dass es trotzdem erteilt wurde.19) Da beide Verleger für den gleichen Gegenstand von unterschiedlichen Hoheiten in sich überschneidenden Territorien privilegiert waren, kam es zu Kollisionen, und die Wiener Verleger forderten eine Bestrafung des Pfälzers. Gegen die Rechtswirksamkeit des Wiener Privilegs wurde ins Feld geführt, dass das kurpfälzische das ältere sei und dass durch das kaiserliche Privileg die landesherrlichen Hoheitsrechte der Kurpfalz missachtet wurden. Da es sich bei der Musikstecherei um ein neues Verfahren gehandelt habe, sei nach den Wahlkapitulationen keine Kompetenz des Kaisers und des Reichshofrats zur Erteilung der Privilegien gegeben, denn der Anspruch auf die Befugnis zur Erteilung des Privilegs könne sich angesichts der neuen Technik nicht auf Reichsherkommen stützen. Schließlich sei der Reichshofrat auch nicht für das gerichtliche Verfahren zuständig.20) Es waren praktisch alle Grundlagen umstritten: Wer durfte das Privileg erteilen, wem durfte es aufgrund welcher Umstände gewährt werden, welchen Inhalt sollte es haben und welche Behörde oder welches Gericht waren zuständig?
- Bei Pohlmann findet sich ein ähnliches Beispiel aus 1722 mit einem Generalprivileg. Georg Philipp Telemann wurde an der wirtschaftlichen Verwertung seiner Werke gehindert, weil der Ratsdrucker das Privileg hatte, sämtliche an der Hamburger Johannes-Schule geschaffenen Werke zu publizieren, der ein kaiserliches Privileg für Notenschriften betrifft.21)
Es gab Regeln, die aber nicht wie Rechtsnormen publiziert wurden, sondern internen Verwaltungsanweisungen glichen und so lediglich für eine gewisse Regelmäßigkeit sorgten. Eisenhardt22) nennt drei Gutachten des Reichshofrats von 1767, 1768 und 1776, aus denen sich ergibt, dass Privilegien erteilt werden müssten, wenn das Werk zensiert sei, nicht gegen die geltenden Reichsgesetze verstoße und darüber noch kein Privileg erteilt worden sei. Allerdings wurden auch Nachdrucke privilegiert, etwa als Anthologien, verbunden mit dem Hinweis, dass »kein sonst privilegiertes Buch ausser der Sammlung zu verkaufen« sei. Hingegen wurde ein Antrag auf ein Nachdruckprivileg für eine Buch mit Schriften Friedrichs II. abgelehnt.23) Wenn Eisenhardt von »geltendem Recht« und einer Erteilungspflicht spricht, ist allerdings die Einschränkung zu machen, dass es sich nicht um publiziertes Recht, sondern um verwaltungsinterne Anweisungen und Regeln handelte. Eine entsprechende gesetzliche Pflicht zur Erteilung ist nicht bekannt. So war beispielsweise 1791 auch nur von einer Praxis oder von vorläufigen Erfordernissen bei der Erteilung der kaiserlichen Druckprivilegien die Rede.24) Eine Änderung der Rechtslage wurde nur den jeweiligen mit der betreffenden Sache befassten Behörde bekannt gemacht, nicht allgemein veröffentlicht. Diese Anweisungen galten aber nur, solange nicht auf höhere Anordnung hin eine andere Entscheidung erlassen wurde. So wurde im Sachverhalt um Artaria & Co. ausnahmsweise ein Generalprivileg gewährt, da Joseph II.Joseph II. es befürwortet hatte.25)
Bei diesem kaiserlichen Privileg überschnitten sich zwei Aspekte, nämlich einmal das Nachdruckverbot, das aber – wie der Reichshofrat ausführt – nicht als Generalprivileg gewährt werden sollte, und das neue Verfahren Musikalienstecherei, das als neues Gewerbe aus den oben dargestellten, merkantilistisch motivierten Gründen (als Einführungs- oder Privileg!Erfindung–Erfinderprivileg) erteilt wurde. Beide Privilegien wurden weder für einen Erstdruck noch aus urheberrechtlichen Aspekten erteilt. Der Verlag konnte beispielsweise nach dem kurpfälzischen Privileg bereits veröffentlichte Werke, jedenfalls soweit diese nicht anderweitig privilegiert waren, durch den bloßen Druck, auch einen Nachdruck, an sich ziehen (erfasst waren der gestochenen oder gedruckten Musikalien Handel).
Es war ein weit verbreitetes Problem: Durch eine undurchschaubare Vielfalt an privatnützigen Ausschließlichkeitsrechten wurden nicht nur die Gewerbefreiheit als solche, sondern auch die Sicherheit der getätigten Investitionen gefährdet.Heutzutage sind es die unübersichtlichen, zersplitterten und ungenau abgegrenzten Patente, denen teilweise vergleichbare nachteilige Wirkungen zugeschrieben werden.26) Private Initiative wurde oft erst bei hoheitlicher Absicherung verwirklicht; andernfalls blieb die Goldschatulle verschlossen. Dass die ausschließlichen Vervielfältigungsrechte als Privilegien erteilt wurden, entsprach der typischen Methode des fürstlichen Staatsverständnisses, in dem der Herrscher seinen Untertanen soviel an Rechten gewährte, wie es ihm am besten erschien. Die ausschließlichen Rechte für Schriften nahmen in diesem Rahmen keine Sonderrolle ein. Sie nahmen allerdings in Deutschland eine Sonderrolle ein, weil es in Deutschland nahezu unmöglich war, den mit den Privilegien verfolgten wirtschaftlichen Zweck zu erreichen. Deshalb, und nicht weil das geistige Eigentum unbekannt war, gab es in Deutschland keine Ausschließlichkeitsrechte an schriftlichen Werken.
Das Privileg war nicht auf die Untersagungsbefugnis beschränkt, sondern umfasste zugleich eine Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes. Heutzutage muss dies nicht mehr Gegenstand des geistigen Eigentums sein, da das geistige Eigentum die formal existierende Gewerbefreiheit einschränkt. Der Unterschied zwischen einem Privileg und den modernen Ausschließlichkeitsrechten ergibt sich nicht zwingend aus der Wirkung, also dem Gegenstand des Rechts als exklusive Nutzung einer abstrakt umschriebenen Handlungsmöglichkeit, sondern aus dem Verfahren, wie Recht entsteht. Die typischen Gewerbeprivilegien unterschieden sich im Hinblick auf ihre Wirkung gering von Patenten in unserem Sinne. Ob jemand das ausschließliche Privileg zur Herstellung und zum Handel mit Porzellan oder ein entsprechendes Produktpatent innehat, ändert an der Tatsache, dass der Privilegierte oder Patentinhaber anderen die gewerbliche Herstellung der Güter oder deren Inverkehrbringen untersagen darf, nichts. Wenn sich die Alleinbefugnis von der Methode der Erteilung löst und der Staat nicht mehr ordnend in die Verteilung der Befugnisse eingreift, sondern nur die Existenz des Ausschließlichkeitsrechts garantiert, indem er rechtliche Mittel gegen eine Beeinträchtigung zur Verfügung stellt, bleibt der Kern als eine Ausprägung des geistigen Eigentums übrig. Betrachtet man den weiteren Verlauf, so kann man zwei Entwicklungen Privileg!Ablösung durch Normenfeststellen:
- Ablösung des Privilegs durch das allgemeingültige (bürgerliche) Gesetz;
- Reduzierung der Gegenstände, für die Ausschließlichkeitsrechte als gerechtfertigt angesehen werden.
Das Gesetz gibt einen Rechtsanspruch auf das Ausschließlichkeitsrecht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, während das Privileg aus fürstlicher Gnade gewährt wurde. Da die Wirkungen der Privilegien in weiten Zügen denen des gesetzlichen Urheber- oder Patentrechts gleichen, kann man auch von einer Art Auslese ausgehen. Von der ehemaligen Vielzahl von Gegenständen der Privilegien ließen sich immer weniger gegen das nach wirtschaftlichen Freiheiten strebende Bürgertum aufrechterhalten. Sie verstoßen gegen den Gleichheitsgrundsatz und behindern die Wettbewerber in ihrer wirtschaftlichen Freiheit. Privilegien für andere Leistungen wurden nach und nach als immer weniger gerechtfertigt eingestuft.Dölemeyer; Dölemeyer; Wadle; Wadle. In der revolutionären französischen Gesetzgebung treffen wir auf diesen unmittelbaren Zusammenhang: einerseits Abschaffung aller Privilegien und die Einführung der Gewerbefreiheit, andererseits bis 1793 Einführung des Patent- und Urheberrechts als Eigentum. Das absolutistische Privileg wird durch das republikanische Gesetz ersetzt. In Deutschland entstand erst durch die Zusammenfassung der Duodezstaaten zu größeren Gebieten und schließlich dem Nationalstaat so etwas wie allgemeine Rechtssicherheit und eine rationale Organisation.
Gab es also ein Nachdruckverbot ohne Privileg? Der BGH – BGHZ 17, 266, 278 f. – hat in der bekannten Entscheidung Grundig-Reporter diese Frage beantwortet: »Die dem früheren Privilegienwesen zugrundeliegende Rechtsvorstellung, dem Urheber stehe ein wirtschaftlicher Nutzen aus seinen Geistesschöpfungen nur insoweit zu, als ihm der Gesetzgeber durch eine in seinem Ermessen stehende Verleihung von ausschließlichen Nutzungsrechten einen solchen Ertrag zubillige, ist durch die Lehre vom geistigen Eigentum, das dem Urheber durch die Schöpfung des Werkes zuwächst, in allen modernen Kulturstaaten seit langem überwunden.« In dieser bekannten Entscheidung nahm der BGH ein gesetzesunabhängiges Urheberrecht an, das aber nicht naturwüchsig oder ursprünglich besteht, sondern sich in allen Kulturstaaten ausgebildet hätte. Im modernen Urheberrecht sei anerkannt, dass die Nutzungsrechte des Urhebers nur die Ausstrahlungen seines durch den Schöpfungsakt begründeten geistigen Eigentums seien: »Die Herrschaft des Urhebers über sein Werk, auf den sich sein Anspruch auf einen gerechten Lohn für eine Verwertung seiner Leistung durch Dritte begründet, wird ihm hiernach nicht erst durch den Gesetzgeber verliehen, sondern folgt aus der Natur der Sache, nämlich aus seinem geistigen Eigentum, das durch die positive Gesetzgebung nur seine Anerkennung und Ausgestaltung findet.« In dem Streit um das ewige Copyright haben die englischen Juristen argumentiert, dass das Statute of Anne nur ein zusätzliches Recht neben dem zivilrechtlichen Eigentum nach Common Law geboten habe. Diese Frage wurde 1690Beier, Adrian auch in Deutschland aufgeworfen:
Der Proceß ist in solchen Fall, da uff privilegia geklagte wird, schleuniger, die Hülfe ist nachdrücklicher, die Strafe ist empfindlicher. Folgt aber darum nicht, wo kein Privilegium, da sey kein Recht, keine Hülfe, keine Sünde, keine Strafe. Das natürliche Recht, die Vernunft, weiset einem jeden an, liegen zu lassen, was nicht sein ist. Wird zwar umb der Menschen Boßheit, theils Tumheit, durch die Obrigkeit mit angehängter Strafe verboten, war aber vorhin schon nicht recht, Stehlen.27)
Gebietet das »natürliche Recht, die Vernunft« einen entsprechenden Anspruch? Diese Frage führt nach Frankreich, in das Zentrum der Aufklärung.
— Eckhard Höffner 2017/10/24 09:15
Fortsetzung folgt