====== MONOKULTUR Texte ====== ===== Skript Metz (A) / Seeßlen (B) zu MONOKULTUR 6 =====

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Lassen Sie uns beginnen mit einem Zitat von Claude Lévi-Strauss:

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"Der Künstler, der Einzelgänger sein will, wiegt sich in einer möglicherweise fruchtbaren Illusion. Aber das Privileg, das er sich einräumt, ist in keiner Weise real. Auch wenn er meint, sich spontan auszudrücken, ein originales Werk zu schaffen, erwidert er nur anderen Schöpfern, sei es vergangenen oder gegenwärtigen, aktuellen oder potentiellen. Ob man es nun weiß oder nicht – auf dem Pfade der Schöpfung wandert keiner je allein.“

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Wenn wir also über Kunst sprechen, dann in einer Wechselwirkung zwischen der fruchtbaren Illusion des einzelnen Schöpfers auf der einen Seite und über das System von Erwiderungen auf vergangene, gegenwärtige oder, besonders spannend, auf potentielle andere Schöpfer.

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Übrigens wählen wir das Wort Schöpfung nicht bloß aus Respekt vor Claude Lévi-Strauss, auch nicht allein um eine Distanz zum allgegenwärtigen Dummwort „kreativ“ zu schaffen, sondern um auf diese enorme dialektische Spannung aufmerksam zu machen. Denn etwas schöpfen heißt ja zum einen immer auch etwas zum ersten Mal machen. Die Götter haben die Welt geschaffen, nach einem eigenen Ur-Willen, sie haben sie nicht irgendwo nachgebaut, das wären ja schöne Götter. Andrerseits gefällt uns, wenn wir nicht gerade Kreationisten oder sonst Fundamentalisten sind, derzeit wohl auch die Vorstellung, jeder Schöpfungsakt könne auch als einer unter unendlich vielen betrachtet werden, jede Wirklichkeit also nur eine von vielen möglichen Wirklichkeiten, und alles, was in Verschiedenheit und in hinreichender Quantität vorhanden ist, kann auch in Beziehung zueinander gesetzt werden.

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Kurzum, der Akt der künstlerischen Schöpfung ist ein Widerspruch in sich, vollkommen unauflösbar und zugleich vollkommen wirklich. Und das ist auch gut so. Kunst ist das Unmögliche, das nachweisbar gemacht wird. Deshalb ist alles, was je über die Kunst im allgemeinen und das einzelne Kunstwerk im besonderen gesagt werden kann, irgendwie richtig und zugleich irgendwie falsch. Künstlerinnen und Künstler können entweder über ihre eigene Kunst lachen, wie sie das gerne in Büchern von Herbert Rosendorfer machen, oder sie können sie so ernst nehmen, als handele es sich mindesten um eine Art Gottesdienst mit sich selber als Gott, Gemeinde und Priester. Daran, dass sich sehr verschiedene Pfade kreuzen müssen, damit Kunst und Gesellschaft sich auf eine angemessene Art begegnen können, ändert das nichts.

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Wenn wir indes behaupten, dass zwei widersprüchliche Dinge zugleich möglich sind, heißt das noch lange nicht, dass man sie vollkommen beliebig oder gar rein strategisch einsetzen könnte. Ganz im Gegenteil! Wenn Bob Dylan weiß, wie ehrlich man sein muss, wenn man sich entschließt, außerhalb des Gesetzes zu leben, dann sollte der Kunstkritiker von Rang zumindest wissen, wie genau man beobachten und argumentieren muss, wenn es keine allgemein verbindlichen End- und Eckpunkte der Diskurse gibt. Wenn der Kritiker nicht genügend sieht, empfindet, denkt, dann sieht, empfindet, denkt das Vermarktungs- und Medialisierungsinteresse für sie oder ihn.

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Diese Vorbemerkungen reichen, was uns betrifft, als Kunsttheorie völlig aus. Von hier aus kann man zur Praxis gehen, und das heißt in unserem Fall zu der Beziehung zwischen jeweils drei Systemen auf der Produktionsseite wie auf der anderen Seite, der der Adressaten. Wir sprechen von Adressaten, weil wir uns weigern von Konsumenten und Kunden zu sprechen.

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Kunstproduktion, Kunstbetrieb und -diskurs, und Kunstmarkt auf einen Seite. Gesellschaft, Kritik und Ökonomie auf der anderen Seite.

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Man kann sich jedem dieser Elemente auf verschiedene Weise nähern. Kunstproduktion? Alles Quatsch, früher war alles besser oder: aufregendes Geschehen trotz allem, das nähere regelt die Einzelfallprüfung. Kunstbetrieb? Ahja, da war doch die Theorie von der artworld, die als Parodie der kulturellen Elite über Werte und Unwerte entscheidet und eine nahezu absolute Herrschaft über Wert und Wirkung erwirkte. Heute ist vielleicht die gegenteilige Behauptung aufzustellen: Die Artworld hat ihre bizarre Autonomie verloren und ist nur noch ein Anhängsel des Kunstmarkes. Die Gesellschaft? Voll auf dem Verblödungs- und Verrohungstrip. Oder haben Sie vielleicht schon mal versucht, mit einem Pegida-Anhänger wahlweise über Leonardo oder den Situationismus zu sprechen? Seit der Moderne spätestens gibt es zwischen Gesellschaft und Kunst auch eine Geschichte der wechselseitigen Kränkungen. Und zu den Gekränkten, so scheint es, gehört mittlerweile auch der Rest der alten bildungsbürgerlichen, progressistischen und liberalen Zivilgesellschaft, die sich vor nicht allzu langer Zeit durch ihre Kunstsinnigkeit einen von den kleinen Unterschieden verschaffte, von denen Pierre Bourdieu in seiner Untersuchung über Klassen und Distinktionsgewinne spricht. Kurzum: Die Architektur der Beziehungen von Kunstproduktion, Artworld und Markt auf der einen Seite und von Gesellschaft, Kritik und Ökonomie auf der anderen Seite haben sich drastisch geändert. Der Dialog aber hat mit dieser Veränderung nicht Schritt gehalten. Vieles von unserem öffentlichen Sprechen über Kunst dient klammheimlich der Verdrängung dieser Veränderung.

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Eine sehr einfache Beobachtung: Wenn sich die Gesellschaft in ihren Ordnungen, Diskursen, Werten, Dispositiven und Bewegungen verändert, dann wird sich entweder die Kunst auch ändern, oder aber sie wird sich neue Adressaten suchen. Dieser Adressat, jetzt wird es kompliziert, ist in sich wieder dreigespalten. Es ist

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Erstens der Mensch, der Kunst gebrauchen kann, der an Kunst und in ihr wächst, der in der Auseinandersetzung mit ihr einen Weltgewinn und eine Ichstärkung findet. Übrigens vollkommen unabhängig davon, wieviel auch hier Illusion oder Missverständnis im Spiel ist. Es ist der Mensch, der emotionale und intellektuelle Beziehungen zu Kunstwerken und Kunstwelten aufbaut.

Zweitens der Mensch, der Kunst einbaut in die Ordnungen und Ornamente, der Museen errichtet und Förderprogramme ausrichtet, der in Schulen unterrichtet und Politik mit und für Kunst macht. Der Mensch, der Kunst verwaltet, archiviert, sichtbar macht oder nicht. Es ist der Mensch, der mit Kunst umgeht und sie vom individuellen zum gesellschaftlichen Wesen bringt.

Drittens: Der Mensch, der Kunst kauft. Aus welchem Grund auch immer. Der Mensch, der für die Ökonomie der Kunst sorgt, aus eigenem Interesse oder im Auftrag. Der Mensch, der die Kunst immer auch nach ihrem Rendite-Wert befragt und auf diesen Wert Einfluss nehmen will.

Dreimal existiert das Kunstwerk als Gegenstand, Aussage und Wert. Und dreimal auf ganz und gar unterschiedliche Weise.

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Die politische Ökonomie der Kunst basiert auf der Beziehung dieser drei Formen der Adressaten. Im Idealfall sollten sie in der artworld, im Kunstbetrieb nicht bloß eine Elite, sondern vor allem eine Art der Repräsentation, eine Form des im weitesten Sinne demokratischen Resonanz- und Verstärkungsinstruments haben. In wenig glücklicheren Zeiten darf man schon zufrieden sein, wenn die artworld kein geschlossenes System des top down-Diskurses der Experten ist. Ein Eliteverein der sich darüber kaputtlacht, wie ernst er vom Rest der Welt genommen wird. Denn in jedem Beziehungsgeflecht gibt es Machtknoten und Entscheidungsarchitekturen. Die Frage Wem gehört die Kunst? und die Frage: Was bedeutet die Kunst? wird also unentwegt neu gestellt. Abhängig davon wie die Machtknoten und Entscheidungsarchitekturen beschaffen sind. Selbst wenn die Kunst bedingungslos frei wäre, was sie nicht ist, und wenn die Adressaten bedingungslos frei wären, was sie ebenfalls nicht sind, wäre die Verbindung zwischen beiden doch stets Ausdruck von diskursiver, ökonomischer und politischer Macht. Die Utopie in diesem Spiel lautet: Kunst und ihre Adressaten sorgen gegenseitig für ihre Freiheit. Die Dystopie dagegen lautet: Kunst und ihre Adressaten können sich nur in einem Raum treffen, den Interessen von ökonomischer und politischer Macht bilden. Die Realität besteht darin, Kompromisse zwischen beidem zu suchen.

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Würden wir streng marxistisch argumentieren, dann wäre nur zu klar, dass eine veränderte politische Ökonomie auch die, sagen wir, Inhalte der Kunst (das große Work in progress der unzähligen Schöpfungsakte, von denen übrigens, wie in der Natur, etliches nur dazu da ist, um gründlich und performativ schiefzugehen), dass sie die Kunstwerke selber verändern müsste. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, warum sollte es ausgerechnet bei Künstlerinnen und Künstlern bzw. bei Adressaten und Adressatinnen anders sein. Aber da wir zu allzu strengem Marxismus nun auch wieder nicht verpflichtet sind, können wir eher beobachten: Es sind ziemlich komplizierte Beziehungen zwischen der politischen Ökonomie und der Ästhetik. Und ganz bestimmt verhält es sich nicht so, dass weil jemand Wichtiges aus der Artworld Sehschwierigkeiten hat, ein Trend zur Unschärfe ausgerufen wird. Denn es gehört zu den Privilegien von Künstlern und Adressaten, die Umstände ihrer Begegnung zu reflektieren und mit den jeweiligen Mitteln in sie einzugreifen.

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Es war das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft, in der Kunst zugleich und in harmonischer Balance ökonomischen, kulturellen und politischen Wert haben sollte, dass die drei Adressaten, der Betrachter, der Vermittler und der Käufer, eng miteinander verflochten und in regem Austausch miteinander am Werk waren. Daraus entstand ein Verteilungsprojekt der Kunst, der vom mäzenatischen Salon über den sonntäglichen Gang ins Museum bis zum Picasso-Druck im Kinderzimmer reichte. Bürgerlich sein heißt, Anteil an Kunst haben. Und umgekehrt heißt Anteil an Kunst haben, bürgerlich werden. Es kommt nun allerdings noch einmal darauf an, ob wir bürgerlich in Bezug auf den Citoyen, den republikanischen, aufgeklärten und liberalen Staatsbürger meinen, der möglicherweise auch Unruhe stiften und Revolten durchführen kann, oder in Bezug auf den Bourgeois, der vor allem seinen Besitz mehren und verteidigen will und Unruhe sogar in der Kunst zutiefst verabscheut. Ökonomischer, kultureller und politischer Wert der Kunst aber sind nun auseinander gebrochen und bewegen sich immer weiter auseinander.

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Was wir unschwer feststellen können in der Entwicklung seit den achtziger Jahren, genau genommen seit den ersten großen Krisen der kapitalistischen Demokratie in den westlichen Zentren, oder seit dem Beginn dessen, was damals noch nicht so eindeutig „Neoliberalismus“ geheißen wurde, sondern eher freie statt soziale Marktwirtschaft, dass sich die Bedingungen der Produktion, der Konsumtion und der Vermittlung von Kunst stark geändert haben, vor allem aber, dass sich die politische Ökonomie der Kunst geändert hat. Um es zunächst sehr einfach zu sagen: Die Räume, in denen sich Kunst und ihre Adressaten begegnen, sind mehr denn je von ökonomischen und politischen Machtinteressen bedingt, dafür um so weniger von kulturellen und sozialen Codes bestimmt. Es herrschen zugleich formale Freiheit und ökonomische Erpressung.

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Auf der ersten Ebene machte die Kunst natürlich ganz einfach genau das durch, was der Rest der Kultur in der neoliberalen Gesellschaft auch durchmachte. Die Privatisierung der ökonomischen Organisation, die Globalisierung der Märkte, die Beschleunigung der Umsätze von Tauschprozessen, die Erosion der öffentlichen Räume, die immer auch Räume der Kunst waren, die Verschärfung der Wettbewerbe, die Verlagerung der Macht auf immer weniger Zentren, die stetig weiter aufgehende Schere zwischen arm und reich, die bedingungslose Idealisierung der Gewinner, die Konkurrenz um Standortvorteile und Steuerersparnisse, Medialisierung und Digitalisierung usw. Jede Künstlerin, jeder Künstler erlebt auf die eine oder andere Weise diese ökonomischen Prozesse.

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Allerdings, die bildende Kunst erlebte etwas, was keiner anderen Kunstform widerfuhr, nämlich die Entdeckung des Kunstwerkes als Kapital. Und wir meinen damit nicht allein als Kapitalanlage, also in der Form eines Besitzes, in dem Kapital zur Ruhe gebracht und gegen die Zeit gesichert werden kann, wie Schmuck oder Gold, sondern als reines Kapital, also als ein ununterbrochener Kreislauf von Wertschöpfung. In einer bestimmten Sphäre ist das Kunstwerk nicht einfach nur Geld wert, sondern es ist selber eine Form von Geld. Kunst gehört zu den Magneten eines Überschusskapitals auf der Sache nach Verwertung. So musste der Kunstmarkt zu einem Seitentrakt des Kapitalmarktes werden, als Auffangbecken für das Kapital, das sich nicht reinvestieren und nicht anlegen lässt, und das möglicherweise auf der Flucht ist, vor der Steuer oder vor dem Verbrennen. Die Erhitzung dieses Parallelmarktes ist offensichtlich weitgehend auch politisch gewollt, was an der Steuer- und Erbschaftsgesetzgebung ebenso abzulesen ist wie an der großzügigen Deregulierung.

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Kapital und Bildende Kunst gingen eine innige Verbindung ein, die nun nicht mehr allein diesen Parallelmarkt betrifft, der sich als großes Experimentierfeld für die künfitge Organisation von Märkten der Kreativwirtschaft entpuppt. Die fünf verschiedenen und miteinander verbundenen Abhängigkeiten sind:

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    Die Metapher. Manager lieben es, sich als Künstler zu verstehen, die Künstler als Vorbilder oder als Abbilder, wie man es nimmt. Der Ökonomie-Jargon ist durchsetzt von Kunst-Metaphern. Man findet sich in einer Zauberformel vom Kreativen. Kreativität ist das Zentrum dessen, was Gernot Böhme den „ästhetischen Kapitalismus“ nennt, eine Form, in der keine anderen Ressourcen mehr wirklich Wachstum generieren können außer eben dieser, der Kreativität, der Produktion von Formen, Ideen und Phantasien. Der ästhetische Kapitalismus benötigt die Kunst dringend als Motor. Aber: Er benötigt eine bestimmte Art von Kunst.

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    Die Mythisierung. Soziologische Untersuchungen in Frankreich haben gezeigt, dass die so genannten Kreativen, vor allem aber Künstlerinnen und Künstler dazu benutzt werden, prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen zu akzeptieren bzw, akzeptabel zu machen. Es wird ein Image erzeugt, was etwa an die Stelle von früheren romantischen Bohème-Klischees andockt, zugleich aber auch an Aufstiegsgeschichten von Silicon Valley oder dem Pop-Business, vom Leben in einer Szene, deren materielles Elend seine Kompensation in Freiheit und Lust findet, bis der erwählte Mensch aufsteigt und zu Ruhm und Reichtum kommt.

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    Die Rendite. Die Kunst wird die große Metapher der Wertbestimmung auf einem neoliberalen Markt. Auch auf einer der so genannten Affordable Art Fairs wird das Verkaufsgespräch sich weniger um ästhetische Fragen als um möglich Wertsteigerungen und Marktchancen drehen. Die Banken haben in Art Loans und anderen Verknüpfungen den Kunstmarkt in einem von außen schwer zu erkennenden Maß übernommen und längst eigene Abteilungen dafür installiert.

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    Fetischisierung des Solitär. Geld und Kunst sind insofern miteinander verwandt, als beide eine direkte Gleichung von Zeichen und Wert aufmachen, ohne den Umweg über andere Wertbestimmungen von Material, Arbeit oder Geschichte. Geld und Kunst folgen dem Prinzip, unendliche Prozesse des Vergleichens zu eröffnen, selber aber mit nichts verglichen werden zu können, außer mit sich selbst. Das Kunstwerk ist die Superware, die nur einen Besitzer haben kann. Und es ist die Luxusware in einem Status, da sehr viele traditionelle Luxuswaren an Wert und Exklusivität verlieren.

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    Schaffung von Indifferenzzonen. Dazu gehört, nur zum Beispiel, Kunst als Bestechung, Kunst-Events als inoffizielle Verhandlungsorte, Städteplanung und Aufwertung von urbanen Prozessen, die Inszenierung von gesellschaftlichen Ereignissen, aber auch, das ist ein zunehmender Anteil, und wenn man ein wenig herumkommt in der Welt, ist leicht zu sehen, dass dieser Aspekt enorm an Bedeutung gewinnt, der performativen Zensur, der populistischen Geste, der Nationalisierung der Kunst-Diskurse und der Standorte, disparate Dinge wie die Restitution, die Provenienzforschung oder auch die Expertisen erweisen sich bei näherem Hinsehen immer als Erzählungen mit anderem Hintergrund. Kunst ist ein Vorwand zum Tausch zwischen ökonomischer und politischer Macht. Die Kapitalisierung der Kunst hat ihren Charakter als politische Metapher zwar verändert aber nicht abgeschafft. Es wird also nicht so sehr Politik für die Kunst gemacht, als dass Politik mit der Kunst gemacht wird, wenn vielleicht hierzulande auch nicht mehr so drastisch wie in den fünfziger Jahren, als es sogar eine Verknüpfung von Kunst und Geheimdiensten zum Zweck der Propaganda und Beeinflussung gab.

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Wir haben es also, das ist ein entscheidender Unterschied, nicht mit einer schieren Ökonomisierung der Kunst zu tun. Jede Produktion, auch eine ästhetische Produktion, bedarf einer Ökonomie. Künstlerinnen und Künstler sollen von ihrer Produktion leben, und sie sollten auch verdammt noch mal nicht schlecht davon leben. Wie Sie alle nur allzu gut wissen, ist aber genau das Gegenteil der Fall. Der Anteil der Menschen, die von Kunst leben können und noch viel drastischer der Anteil jener, die davon über rein prekäre Lebensverhältnisse leben können, sinkt dramatisch. Man könnte einwenden, diese Entwicklung wäre auch in anderen Künsten zu beobachten: Welcher Autor, welche Autorin kann schon von ihren Büchern leben, welche Musiker von ihrer Musik? Doch es dürfte wohl, vom professionellen Lotteriespielen einmal abgesehen, kaum einen Bereich geben, in dem die Umsatz- und Gewinnzahlen in solch krassem Missverhältnis zum Einkommen der realen Produzenten stehen. Übrigens zeigt ein genauer Blick, dass selbst diejenigen Künstler, die als große Gewinner gelten und sich subjektiv über ihren Kontostand gewiss nicht beklagen können, objektiv, also im Verhältnis zu den Umsatzzahlen des Kunsthandels, an Einkommensanteil verloren haben. Die cleversten von ihnen steigen deswegen auch gern selbst in den boomenden Kunsthandel ein. Ansonsten gilt für die Kunstproduktion das gleiche wie für andere Produktionen: Die Kapitalisierung der Produktion bedeutet die Entwertung der primären Arbeit. Die Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Kunstmarkt genau an jenen Orten am meisten, wie man so sagt: explodiert, wo in der Gesellschaft die Schere zwischen arm und reich besonders stark aufgeht. Das leuchtet natürlich sofort ein, weil auf diese Weise besonders viel nicht reinvestiertes Kapital entsteht. Tatsächlich aber erwies sich der boomende Kunstmarkt sogar als ein Mittel, diese Schere wiederum weiter aufgehen zu lassen. Und sie geht auch und besonders dramatisch in der Kunstwelt selber auf. Kapitalisierung der Kunst bedeutet strukturelle Verarmung der Künstlerinnen und Künstler.

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Wenn wir ökonomisch argumentieren, gibt es nur einen, freilich von der Produktion glamouröser Millionärsaufsteigergeschichten und genau so glamourösen Super-Events der Kunstwelt überlagerten Schluss: Die Kapitalisierung der Kunstwerke entspricht einer Absenkung der politischen Ökonomie der Kunst. Dass dieser Umstand, der unleugbar aber schwer nachzuweisen ist, so schlecht mit Zahlen zu belegen ist, hängt im übrigen damit zusammen, dass Transparenz und Ehrlichkeit auf dem Kunstmarkt so ausgeprägt sind, dass die Deutsche Bank dagegen das offene Buch ehrbarer Kaufleute ist.

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Die Kapitalisierung der Kunst bedeutet schließlich eine Enteignung und Entmachtung der Mehrheit der Künstlerinnen und Künstler, zugunsten einiger Gewinner, gewiss, viel mehr aber zugunsten einer auch rechtlich immer privilegierteren Händler-, Käufer- und Besitzerschicht, die ihrerseits immer stärkere Vernetzungen und Abschottungen vollführt, und die, wie in den USA mittlerweile schon vor Gericht aufgrund von Gewinnerwartungen Rechte an noch gar nicht produzierten Werken geltend machen kann, wenn die entsprechenden Verträge vorzuweisen sind. Man kann durchaus, wie es manche Kritiker tun, bei der Machtverschiebung von den Urhebern auf die Käufer von einer neuen Form von Auftragskunst sprechen. Aber die Kapitalisierung geht einen Schritt weiter. Sie verlangt, vollkommen legal und nach und nach in die Vertragspraxis im Mainstream einsickernd, die Produktion einer Ware, die den Gewinnerwartungen des Käufers zu entsprechen hat. Wenn ein Maler, dessen Kreise Millionenpreise erzielen, plötzlich auf die Idee kommen sollte, Vierecke zu malen, kann ihn das nicht nur seine Kundschaft kosten, sondern auch Schadenersatzprozesse, die ihn oder sie um die Existenz bringen. Mit dem Boom haben sich Künstlerinnen und Künstler einen Grad an ökonomisch-legaler Erpressbarkeit eingehandelt, den es zuvor nie gegeben hat. Auf diese Weise wird, das ist etlichen durchaus populären Künstlern schmerzhaft bewusst geworden, durch Kapitalisierung und Machtverschiebung der Erfolg auf dem Kunstmarkt beinahe noch gefährlicher als der Misserfolg. Er erweist sich als Falle, aus der man so leicht nicht mehr herauskommt, zumal die artworld mittlerweile nicht nur von den Banken, sondern auch von einem System spezialisierter Rechtsanwälte durchsetzt ist. Jedenfalls wird in der Kunstwelt auch der größte neoliberale Mythos heftig entlarvt, nämlich der, dass ökonomischer Erfolg gleichbedeutend mit Freiheit ist.

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Diese Entwicklung, gewiss, sehen wir bei uns erst in Anfängen. Die Machtverschiebungen von Kunstbetrieb, Kunstmarkt und Kunstdiskurs gehen etwas langsamer vor sich als zum Beispiel in den angelsächsischen Ländern und ihren extrem Besitzerfreundlichen Rechtsprechungen. Aber vielleicht kann auch der unkritischere Teilnehmer an diesem Geschehen einmal darüber nachdenken, was es bedeutet, dass die einzige überhaupt noch im medialen Mainstream ankommende Nachricht aus der Kunstwelt eine Liste der mächtigsten Player in ihr darstellt, woraus sich dann noch jeder seine spezifische Botschaft ausfiltert: Wie viele Deutsche sind in der Kunstwelt mächtig, wieviele Frauen sind es, wieviel Künstler und wieviel Kuratoren usw? Redaktionen gratulieren ihren Kolumnisten öffentlich, wenn sie es in diese Liste geschafft haben. Die artworld verhandelt kaum noch den Wert der Kunst für die Gesellschaft, dafür aber intensiv die eigene Machtverteilung. Wenn wir auf der einen Seite auf Rekordsummen von Auktionen und Verkäufen und auf der anderen Seite auf Power Ranking in der Kunst-Szene starren müssen, werden wir uns wohl über eine demokratische, offene und faire Beziehung zwischen den Produzenten und den Adressaten sowie zwischen den drei Adressaten-Gruppen der Kunst keine Illusion machen. In dieser sonderbaren Szenerie haben wir uns daran gewöhnt, in der Kunst eine Aneignung von Reichtum zu bestaunen; im Powerranking nun müssen wir erkennen, dass Kunst offenbar vor allem dem Ausdruck der Machtverhältnisse in ihrer Fabrikation und Vermarktung darstellt. Und in diesem Powerranking führt die artworld, sollten wir sagen: schamlos, wie sie nun einmal ist, vor allem dem primären Adressaten seine Ohnmacht, ja seine Unerheblichkeit vor Augen. Unnütz zu sagen, dass dies einen erheblichen Verlust an potentiellen Adressaten zur Folge hat. Mit der öffentlichen Bindung an Reichtum und Macht verliert die Kunst ein wesentliches Segment ihrer Zukunft. Weder mit einer Kunstmarkt- und Oligarchenkunst noch mit Powerranking und Selbstverstärkung der Artworld kann eine demokratische Zivilgesellschaft noch wirklich etwas anfangen.

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Tatsächlich also befinden wir uns auch auf dem Kunstmarkt auf dem dritten Level der Neoliberalisierung. Argwöhnten wir nämlich eine Zeit lang, es ginge in der Kunst nur noch um Geld, sind wir schon eines besseren belehrt. Es geht auch, vielleicht sogar mehr noch um Macht. Auch hierfür haben wir in der Kritik schon ein gewisses Stereotyp aufgebaut. Wir sprechen von einer Neo-Feudalisierung. Das heißt: Die Kunst wird nicht nur im Auftrag der Oligarchien hergestellt, sondern auch zu dem Zweck, deren Macht zu verstärken.

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Jede Form von Kapitalisierung produziert Verarmung auf der anderen Seite. Die Kapitalisierung der Kunst vollzog sich gewiss nicht zufällig parallel zu den Krisen anderer Verwertungsmöglichkeiten; eine geraume Zeit galt sogar die Parole, der Kunstmarkt sei der einzige, der ausschließlich Wachstum produziere und keine Blasen bilde, weil er nicht nur aus keinem anderen Rohstoff als der Phantasie der primären Produzenten und antizyklisch wirke, sondern mit dem Selbstverständnis der neuen ökonomischen Eliten verknüpft würde und damit vollkommen virtuell. Der Kunstmarkt bindet genau so viel Kapital, wie Kapital verschwinden soll. Und er erzeugt so viel Rendite, wie sich Überschusskapital zirkulieren lässt. Man kann auch sagen: Den Kunstmarkt kann man nachgerade nach Belieben manipulieren, er ist das Experimentierfeld zukünftiger virtueller und definitiv nicht freier Märkte. Er hat in den wenigen Jahren seines Super-Booms Mechanismen entwickelt, die ihn der Kritik und der Kontrolle entziehen. Und er profitiert davon, dass sein Material, die Kunst, auf eine eher vage Art immer noch als etwas Gutes gelten darf, sagen wir: im Unterschied zu Drogen, Waffen oder modernen Sklaven.

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Der Sog der Privatisierung dagegen schafft immer neue Felder einer solchen Kapitalisierung. Der Staat zieht sich nach und nach aus seiner Verantwortung für die Kunst zurück, oder genauer gesagt aus seiner Verantwortung für ein faires und demokratisches Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft. Kunstschätze werden veräußert, Ankäufe reduziert, private Sammlungen mit eigenen Bauten geehrt. Auch auf dem Kunstmarkt ist nur zu deutlich, dass die Profite privatisiert werden, die Kosten aber der Gesellschaft bleiben. So fällt es einer populistischen Kritik leicht, gegen die Förderung einer Kunst zu wettern, mit der man nichts zu tun hat, und die unten Kosten verursacht und oben Millionengewinne abwirft. Nur durch die Einbindung in den Städtetourismus legitimiert sich diese Kunst, und als schon allseits beklagtes Mittel der Gentrifizierung. Kunst wird nicht nur teuer, sie macht auch ihr Umfeld teuer. Ihr Schicksal scheint in einer Verschmelzung mit der so genannten Kreativwirtschaft zu liegen. Sie soll, mit anderen Worten, nicht nur Wachstum generieren, sondern sieht sich auch zur ökonomischen Waffe umgeformt.

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Auf diese Weise wächst der Kunstmarkt noch immer weiter, obwohl keine wirklichen Neuerungen mehr stattfinden und keine neuen Ideen, Diskurse und Phantasien entstehen. Was Kunstmarkt-Kunst ist, das ist schon so bekannt und sogar berechnet, bis hin zu Format, Farbwahl und Künstlerlegende: Man könnte jederzeit einen Kunstmarkt-affinen Künstler komplett mit Biographie und Werkverzeichnis aus all den Ranking und Ratings zusammenstellen, oder gleich von einem Algorithmus herstellen stellen, die hier so im Lauf eines Jahres verschleudert werden, wenn dieser Markt nicht so extrem allergisch gegen alles reagieren würde, was er nicht selber hervorgebracht hat. Eine wesentliche Aufgabe der artworld in diesem Stadium liegt darin, die ökonomische Entwicklung voranzutreiben, und die ästhetisch-diskursive Veränderung zugleich zu unterbinden. Die Dreiteilung des Kunstmarktes, in das Segment der abgehobenen Millionen- und Rekordpreise, das Segment einer Sammler-basierten und von der artworld akzeptierten, von Besserverdienenden erwerbbaren Mittelklasse und den Avantgarde- und Punk-Anteil des so genannten Garagen-Sektors funktioniert für sich weder ökonomisch noch kulturell in einer hochgradig manipulativen und hegemonialisierten Szene.

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Die Exaltationen dieses Marktes, all diese Siegerkunst, neue Auftragskunst, Marktkunst, Oligarchenkunst, neofeudalistische Malerei - alles Begriffe, die schon gang und gäbe sind, ohne dass eine wirklich analytische Kritik entstünde, diese Hype- und Christie’s und Sothebys-Kunstblase, sie hat für den Mainstream einen gewissen Unterhaltungswert. Und sie führt zugleich zu einer radikalen Entfremdung. Die meisten Menschen sind sich darüber im Klaren: Diese Kunst gehört nicht zu meiner Welt, sie hat mir nichts zu sagen, sie ist Ausdruck von Macht und Reichtum, aber auch von Wahnsinn und Bosheit.

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Damit sind wir bei einer mittelgroßen Erzählung, die davon ausgeht, dass dieses exaltierte Rekord- und Fetischverhalten schließlich nicht mit der Kunst, im Grunde nicht einmal mit dem Kunstmarkt identisch sei. Lass die Superreichen ihre Kunstspiele treiben, wir haben regionale Szenen, wir haben Affordable Art, wir haben preiswerte Drucke, wir gehen ins Museum auch dann, wenn nicht gerade wieder eine Blockbuster-Ausstellung alle Rekorde brechen muss.

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Wir haben die Möglichkeiten der Trennung des Kunstmarktes in einen verrückten und in einen normalen Bereich auf drei Ebenen zu verfolgen versucht:

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    In der Kunstpublizistik und damit im gesellschaftlichen Diskurs von Kunst. Ergebnis: Diese Publizistik ist hoffnungslos infiziert, in vielen Bereichen persönlich korrumpiert, sie pendelt zwischen zwei Extremen, nämlich dem unwiderstehlichen Geruch von Geld und Glamour auf der einen Seite und dem fast genauso unwiderstehlichen Sog des Mainstreaming und der Event-Akklamation auf der anderen Seite. Auf diese Weise tritt die Kunstpublizistik, wenn sie überhaupt noch jenseits des Kunstmarkts existiert, auf der Stelle. Eine lebendige Auseinandersetzung und die Suche nach neuen unabhängigen Orten und Formen findet kaum noch statt.

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    Im Verhalten von Banken und Firmen, die mit Kunst beschäftigt sind, sei es als Käufer, sei es, vor allem als Kreditgeber, Makler oder Experten. Ergebnis: Die Kapitalisierung der Kunst, die bereits sehr viel mehr in den Händen von Banken liegt, als sich gewöhnliche Kunden von Galerien und Auktionen das klarmachen, ist längst in den mittleren Bereich durchgereicht. Es wird mit Kunst, durch Kunst und für Kunst auch in Bereichen finanziert, verschuldet, spekuliert, die gerade mal eine vierstellige Summe erreichen, aber selbst noch darunter wird gefragt nach dem Wert als Kapitalanlage, werden Kreisläufe von Zins und Rendite an Kunst gebunden.

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    Im Verhalten von Kunden und Anbietern auf Kunstmessen gerade in den Bereichen der affordable art, der Förderung des Sammlernachwuchses und ähnliches. Ergebnis: Nicht nur die Überpräsenz von Banken und Agenturen und Experten macht rasch klar, dass es eine reine Beziehung zum Kunstwerk und seinem Wert nicht gibt. Werden die Interessenten als potentielle Käufer identifiziert, werden sie sehr rasch in ein Netz von Informationen und mehr oder weniger exklusiven Veranstaltungen gezogen; der primäre Adressat der Kunst sieht sich nur als Kunden wahrgenommen.

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Wir wollen damit nicht sagen, dass es keine aufrichtigen Kunstliebhaber, Sammler aus Leidenschaft, Galeristen, die kein Interesse an Preiskämpfen haben, usw. mehr gibt. Was wir indes empirisch widerlegen können, ist die Legende von einem friedlichen und gedeihlichen Nebeneinander des exaltierten kapitalisierten Kunstmarkt der Oligarchen und der Auktionshäuser, einem traditionell bürgerlich gediegenen Kunstmarkt mit einer zivilisierten Ökonomie und einem aufregenden, innovativen und vor-kommerziellen Garagen-Sektor. Neoliberalisierung erfasst die Bildende Kunst als ganzes und wirkt bis in jede Nische hinein. Und ebenso widerlegen können wir die These, dass der öffentliche, staatliche und gesellschaftliche Sektor gegenüber dem exaltierten Kunstmarkt zwar ein wenig ins Hintertreffen geraten sei, sich aber ansonsten an seine kulturellen Verpflichtungen halte und sozusagen für eine Grundversorgung der Bevölkerung mit Kunst sorge. Das Museum selbst ist längst zu einer jener ökonomisch-politischen Indifferenzzone geworden, die Josef Vogl in seiner Kritik des Neoliberalismus beschreibt: Institutionen, in denen von außen nicht mehr ausgemacht werden kann, wo die Grenzen zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen und ihren Vertretern verlaufen. Die politische Ökonomie der Museen wandelt sich in den Parametern von Standort, Joint Ventures, Touristik und Management, und auch hier herrscht das Prinzip der Quantifizierung.

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Natürlich haben wir einen dritten Sektor, nämlich eine Kunst, die ganz bewusst auf die Kunstmarkt-Kompatibilität verzichtet. Eine Kunst, die soziale Relevanz, öffentliche Sichtbarkeit, ästhetische Integrität, Unabhängigkeit etc. höher einschätzt als Verkaufspreise. Völlig klar, dass eine solche Kunst die ganze Sympathie und die Solidarität von Menschen genießt, die wir als ursprüngliche Adressaten bezeichnen möchten, also als Menschen, die Kunst für ihre eigene Biographie, ihre Wahrnehmung, ihr Glück, ihre Zukunft brauchen.

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Für diese Form der Kunst als Anti-Kunstmarkt-Geste freilich gibt es nur wenig Modelle einer tragfähigen politischen Ökonomie. Selbstausbeutung, Versuche einer alternativen Ökonomie, die Verbindung mit neuen sozialen Bewegungen, die Do-it-Yourself-Punk-Idee, Verknüpfung mit anderen Aufgabenbereichen der ästhetischen Produktion, Verbindung mit Pop und Musik, mit Theater und Film, crowdfunding einzelner Projekte, nicht zuletzt natürlich auch mit verbliebenen gesellschaftlichen Förderinstanzen, die noch nicht dem Ruf des Neoliberalismus gefolgt sind - es gibt eine Reihe individueller und ein paar kollektiver Überlebensmodelle. Aber was daraus werden muss, ist die Frage nach einer neuen politischen Ökonomie für die Kunst. Das bedeutet:

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    Ein sozusagen berufstständiges Anliegen. Es gilt die Rechte der primären Produzenten wieder zu stärken. Eine utopische Lieblingsidee: Kunstwerke kann man nicht mehr kaufen, man kann sie nur leihen, man muss sie dafür sozusagen adoptieren und die Verantwortung dazu übernehmen. Eigentliche Besitzer bleiben die Künstler oder vielleicht Organe der Selbstverwaltung. Weniger utopisch: Künstlerinnen und Künstler können über Standorte und Sichtbarkeit mitbestimmen, sie müssen das Leihgaben-Recht bestärken, auch wenn die Versicherungssummen so rasant steigen, es wird eben an allen Ecken und Enden an Kunst verdient.

  2. B

    Die Künstlerinnen und Künstler müssen von ihrem nur scheinbar natürlichen Konkurrenzverhalten wieder zu mehr Solidarität untereinander gelangen. Sie müssen vom Reichtum, der mit Kunst generiert wird, nicht nur einen individuellen Anteil verlangen, sondern auch einen Teil für den Aufbau von Strukturen der Selbstverwaltung und Selbstorganisationen, in denen es nicht bloß um die Förderung von Kunstmarkt-fernen Projekten geht, sondern auch um eine bessere Verteilungsgerechtigkeit. Junge Künstlerinnen und Künstler sollen sich über den Markt keine Illusionen machen und sollen ganz gewiss die ökonomischen Grundlagen ihrer Arbeit nicht ausblenden. Aber sie sollen auch nicht geblendet und manipuliert schon am Beginn ihrer Arbeit den Gesetzen dieses Marktes geopfert werden oder sich selber opfern. Mindestens so wichtig wie individuelle Nachwuchspreise sind Möglichkeiten, die eigenen Arbeiten sichtbar zu machen, den ersten Adressaten, der kritischen Öffentlichkeit, nicht den Marktexperten.

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    Es genügt nicht, das Elend der Kunstkritik zu beklagen. Ach, was hatten wir früher für tolle Leute. Zu fordern wäre sowohl eine Unabhängigkeitserklärung der verbliebenen Kritikerinnen und Kritiker als auch eine neue Form der Diskurse, die nach der Bedeutung der Kunst für die Gesellschaft fragt und die sich lossagt von Rekordpreis, Blockbuster und Powerranking.

  4. B

    Es wird nicht ewig so weitergehen. Wenn doch, lohnte das Nachdenken nicht. Aber gerade in der Kunst sollte soviel Potential von Phantasie und Utopie zu aktivieren sein, um zu fragen was nach einer Kunst im Kapitalismus und nun nach einer Kunst für den Neoliberalismus kommt. Wie kann die politische Ökonomie der Kunst in der Zukunft aussehen? Gewiss wird es weder eine Wiederkehr von Staatskunst und politischer Indienstnahme sein, noch wird es weitergehen mit einer marktradikalen Nachfragekunst, es wird vielmehr um demokratische Modelle und neue Beziehungen zwischen Produzenten und Adressaten gehen, um Preisermittlungen, die nicht an Kapital, wohl aber an Bedürfnissen und Möglichkeiten orientiert sind.

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    Jede Art von Kunst ist sowohl Metapher als auch Experiment von Freiheit. Kunst kann durch politische Macht ebenso unterdrückt werden wie durch ökonomische und mediale Hegemonie. Alles was mit der Kunst und in der Kunst geschieht, geschieht am Leitfaden der Freiheit. Genau so wenig wie die Ökonomie ihr Versprechen hielt, die Freiheit der Kunst gegen die Politik zu verteidigen, kann die Politik, wie immer sie beschaffen sein mag, ein Versprechen geben, die Kunst gegen die Zwänge der Ökonomie zu verteidigen. Das heißt, und es ist Ansporn vielleicht genug, eine transformierte artworld wird nicht mehr nach einem äußeren Garanten, einer Schutzmacht suchen, sondern die neue politische Ökonomie aus sich selbst heraus entwickeln. Ein weiteres Lieblingsmodell dafür ist die nomadische Kunst, eine Kunst, die ihre Ökonomie in Bewegung und in Begegnung entfaltet.

  6. B

    Nichts davon ist die Lösung schlechthin. Aber alles ist besser als eine Kunst, die zwar viel kostet, aber nichts mehr bedeutet.

A

Wir wollen den Kreis schließen: Auf dem Pfad der Schöpfung wandert niemand je allein. Die Metapher von Pfad und Wanderung scheint uns in Zusammenhang mit der gegenseitigen Verbindung der Künstlerinnen und Künstler besonders wertvoll. Es geht darum sich auf den Weg zu machen, es geht darum, einem Zustand von Lähmung und Versteinerung zu entkommen. Es geht nicht darum, über Kunst zu bestimmen. Die Offenheit der Kunst, auch in der Form einer verlorenen Unbekümmertheit, ist gerade ihr Wesen. Es geht vielmehr darum, die Kunst wieder dahin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Und das ist keine Aufgabe, die die Künstlerinnen und Künstler allein lösen können, und keine, die Vermittler, Galeristen, Kuratoren usw,, eine vielleicht dissidente Sektion der artworld also, allein lösen könnte, sondern auch die Adressaten müssen sich engagieren für eine neue politische Ökonomie und damit verbunden für eine neue Kultur der Vermittlung und des Dialoges. Stéphane Hessel hat das in einem schönen Satz gesagt: Neues schaffen, heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten, heißt Neues schaffen.

B

Eine Kunst, die ihrer Kapitalisierung und Auflösung in der Eventkultur, ihrem Missbrauch als Kreativitätsdroge und Prekarisierungsmethapher, ihrer Enteignung und ihrer Desozialisierung nicht widersteht, kann auch nichts Neues schaffen. Eine Kunst, die darauf besteht, Neues zu schaffen, muss sich als Widerstand begreifen.

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