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2.3 Buchdruck

2.3.1 Papier

Um 1150 kam die Technik für das bereits eintausend Jahre zuvor in China aus Lumpen hergestellte Hadern- oder Linnenpapier in das maurische Spanien, einhundert Jahre später nach Italien, und um 1300 wurde das Papier in die deutsche Region exportiert. In den ersten Jahrzehnten nach der Einführung in Europa wurde die Langlebigkeit bezweifelt und Kaiser Friedrich II. untersagte 1231, dass das Material Papier für die Niederschrift offizieller Dokumente verwendet wurde.1) Linnenpapier ist jedoch sehr lange haltbar und vergilbt kaum. Laut Beckmann wurde 1340 eine der ältesten Papiermühlen auf europäischem Boden (in der Mark Ancona) erstmals erwähnt.2) 1391 errichtete Ulman Stromer die erste Papiermühle in Nürnberg, die mit zwölf Arbeitern damals als deutscher Großbetrieb einzuordnen war.3) In diese Zeit fällt auch der Beginn des Holzschnitts, der für die Vervielfältigung von Heiligenbildern oder Spielkarten genutzt wurde.4) Die Langsamkeit der Verbreitung des Papiers bis in das 15. Jahrhundert hinein belegt die im vorhergehenden Abschnitt zusammengefassten Umstände.

1450 wurden dann jedoch in Deutschland bereits acht bis zwölf Millionen Bogen des hochwertigen Textilpapiers hergestellt, das ein Bruchteil der zu Pergament verarbeiteten Tierhäute kostete. Das Wachstum lässt sich in Paris feststellen: 1292 bestand die Zunft der Buchhändler in Paris aus 24 Schreibern, 19 Pergamentmachern, 17 Buchbindern, 13 Illuminatoren und 8 Manuskriptenhändlern, 150 Jahre später hatte sich die Zahl der Schreiber auf rund das Zwanzigfache erhöht, so dass bis zu 6000 Personen ihr Auskommen als Schreiber und Illuminatoren hatten.5) Pergament wurde nur noch für Luxusausgaben verwendet.6) Und vor allem Frankreich schloss bis in das 18. Jahrhundert hinein regionale Versorgungslücken in Zentraleuropa, da die Produktionsmenge der vom steten Zufluss an Lumpen abhängigen Papiermühlen oft nicht den Bedarf deckte, der durch den Buchdruck gewaltig anstieg.7)

Die Verwendung von Lumpen, Baumwolle oder Leinen als Rohstoff reduzierte die Preise für Handschriften, – und die Zahl der Kopien nahm deutlich zu. So lassen sich nahezu gleichzeitig mit dem Auftauchen des Linnenpapiers in Bologna 1259 die ersten Bestimmungen zum Handschriftenhandel im universitären Bereich nachweisen. Die zum städtischen oder Universitätspersonal gehörenden stationarii verliehen an Studenten Bücher zum Abschreiben und boten alte Handschriften aus Nachlässen an. Die besondere Gruppe der stationarii peciarum hatten dafür peciae genannte lose Blätter eines Werke zur Verfügung, die sie zur Vervielfältigung an mehrere Schreiber gleichzeitig verteilten, um so eine schnellere Produktion zu ermöglichen. Die Stationarii durften die Handschriften nur gegen Miete zum Abschreiben hergeben und kommissionsweise alte Handschriften verkaufen, so dass der Bestand der Universität gewahrt blieb. Eigener Handel mit Handschriften war ihnen untersagt.8) Der Großteil der Einnahmen der Stationarii beruhte auf dem Verleihen und dem Verkauf gebrauchter Abschriften. Allerdings war auch der Bestand an Werken gering. Er soll nach alten Verzeichnissen bis in das 14. Jahrhundert hinein kaum mehr als 100 Werke zumeist juristischer Natur umfasst haben und sich allenfalls gering um neue Werke erweitert haben.9)

Grob zusammengefasst kann man sagen, dass handschriftliche Kopien in den geistigen Zentren vor Ort nach Erteilung eines Auftrags angefertigt wurden. Im 15. Jahrhundert nahm die Zahl der Schriften stark zu, allerdings weniger in den stark reglementierten Universitätsstädten, sondern in den Städten, in denen jeder frei kopieren oder kopieren lassen konnte, keine Erlaubnis der Universität erforderlich war und beispielsweise auch anonyme Schriften veräußert werden konnten. Bei dieser Art der Produktion gab es eigentlich nur variable Kosten für das Material und die Arbeit, die mit der Herstellung jedes einzelnen Stücks anfielen.

2.3.2 Drucktechnik

<html> <figure class=„rahmen mediaright“> </html> <html> <figcaption class=„caption-text“>Spielkarten – Druck vor Gutenberg</figcaption> </figure> </html>

Mit der Entwicklung des Buchdrucks um 1450 zur ersten vollständigen Mechanisierung einer Handarbeit ändert sich die Verbreitung von Wissen grundlegend, da man »an einem Tag mehr drucken kann als man früher in einem Jahr hatte abschreiben können«.10) Drucktechniken für Bücher wurden seit dem 6. bzw. 10. Jahrhundert in Korea und China angewandt, dies allerdings nicht mit beweglichen Lettern, sondern mit Holztafeln, in die das Druckbild geschnitzt wurde wie bei einem Stempel. Methoden wie Inkunabeln oder das Holzdruckverfahren kamen in Europa mit steigendem Interesse an Druckwerken schon vor der Gutenbergschen Technik auf. Spielkarten oder Einblattdrucke wurden in größerer Zahl hergestellt.11)

Das Besondere war die Möglichkeit, die Lettern für unterschiedliche Texte wieder zu verwenden. In Korea und China sollen bereits vor dem 14. Jahrhundert einzelne Lettern verwendet worden sein, im 11. Jahrhundert – so wird vermutet – bewegliche Lettern aus gebranntem Ton und im 14. Jahrhundert aus Holz.12) Ulrich Zell berichtete in der Kölner Chronik (1499), dass die Technik mit einzelnen Lettern 1450 aus Mainz nach Köln gekommen sei. Die ersten Versuche (»eyrste vurbyldung«) seien jedoch von »den Donaten« (Lateinlehrbuch) aus Holland bekannt.13) Gutenberg, der unter anderem die Weinpresse und das Metallgießen der Goldschmiede kombinierte und dabei insbesondere das Gießinstrument und die Legierung für die Herstellung der einzelnen Lettern entwickelte, erleichterte die Reproduktion und Verbreitung des Wissens und der neuen Ideen mit den beweglichen Lettern. Die Druckerschwärze wurde nicht mehr durch Reiben mit dem Papier verbunden, sondern das Papier mit Druck auf die gesetzten Buchstaben gepresst. Gutenberg war aber nicht der einzige Goldschmied, der nach einer Methode suchte, das Kopieren vieler Schriften zu erleichtern. In Avignon beschäftigte sich Procopius Waldvogel, ebenfalls Goldschmied, mit der selben Problematik.14)

Druckerpressen wurden vor allem in Handels- und Universitätsstädten aufgestellt. Bis 1500 sollen an rund 250–270 Druckorten in Europa nahezu 40 000 Titel mit einer Gesamtauflage von ca. zehn bis zwanzig Millionen Exemplaren gedruckt worden sein,15) dies bei einer Gesamtbevölkerung, die 1450 auf 37 bis 39 Millionen und 1500 auf etwa 60 bis 70 Millionen Einwohner geschätzt wird.16)

1470 wurden noch prächtige Handschriften der Bibel für bis zu 500 Gulden verkauft.17) Die Gestaltung der frühen, in aufwändiger Handarbeit hergestellten gedruckten Bücher orientierte sich noch stark an den teilweise äußerst edlen Handschriften. Anton Koberger verlegte beispielsweise 1493 die berühmte Schedelsche Weltenchronik. 1400 lateinische und 700 deutsche Exemplare mit 1804 teilweise doppelseitigen Holzschnitten wurden gedruckt. Der Preis betrug drei bis dreieinhalb Gulden für ein ungebundenes Exemplar, anderthalb Gulden mehr für ein gebundenes und ungefähr acht Gulden für ein gebundenes und koloriertes Exemplar. Das gleichmäßige Druckbild der alten, besonders sorgfältigen gesetzten Drucke wurde erreicht durch die Verwendung von mehr Lettern als das bloße Alphabet hat. Für Gutenbergs Bibel wurden 299 unterschiedliche Zeichen und Ligaturen gegossen. Es wurden viele Abkürzungen verwendet, um eine gleichmäßige Buchstabenzahl in einer Zeile zu erzielen, indem beispielsweise nicht »Mann« gedruckt wurde, sondern »Mañ« (die Tilde über dem N zeigt an, dass der zweite, wiederholte Buchstabe ausgelassen wurde). In dem Exemplar der Bayerischen Staatsbibliothek München sind wie für Handschriften handkolorierte Initialen vorgezeichnet.

<html> <figure class=„rahmen“> <img src=„/wiki/lib/exe/fetch.php/geschichte:gutenberg_bibel.jpg“ /> <figcaption class=„caption-text“>Gleichmäßiges Druckbild der Gutenbergbibel</figcaption> </figure> </html>

<html> <figure class=„rahmen mediaright“> <a title=„Willi Heidelbach [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/) or CC BY 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AMetal_movable_type.jpg“><img width=„512“ alt=„Metal movable type“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/ae/Metal_movable_type.jpg/512px-Metal_movable_type.jpg“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Typenkasten, Lettern und Winkelhaken</figcaption> </figure> </html>

Der Satz des Buchs, die Herstellung der Druckform, erfolgte im Buchdruck bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nach der Gutenbergmethode mit einzelnen Lettern, vierkantigen, rechtwinkligen Metallkörpern, die vom Schriftsetzer den Fächern des Typenkastens entnommen und im Winkelhaken nach dem Manuskript aneinandergereiht werden. War ein größerer Block zusammengestellt, wurde er mit Schnüren fixiert und eine Druckfahne zur Korrektur gedruckt. Nach der Einarbeitung der Korrekturen wurden die Blöcke auf die spätere Seitengröße umbrochen und zusammengebunden, so dass auf einem Bogen Papier mehrere Seiten des späteren Buchs gedruckt werden konnten. Waren die Seiten einer Druckform in der gewünschten Anzahl gedruckt, wurde der Satz wieder abgelegt. Der Setzer nahm die Druckformen auseinander und sortierte die einzelnen Lettern wieder in die jeweiligen Fächer der Setzkästen zurück. Auf der Rückseite der Bogen wurden nach dem Trocknen der Widerdruck aufgebracht. Da alle Schritte per Hand ausgeführt wurden, war die Leistung der Druckpressen eher gering.18)

Nachdem das bedrucke Papier getrocknet war, wurde es verkauft. In der ersten Jahrhunderten waren dies zumeist ungeschnittene Druckbogen. Das endgültige Buch hatte man erst in der Hand, nachdem ein Buchbinder es nach den individuellen Wünschen seines Kunden gebunden hatte. Faltet der Buchbinder einen Druckbogen ein Mal, so erhält man das große und teure Folioformat, faltet man ihn zwei Mal, erhält man das immer noch unhandliche Format eines Quartanten. Üblich wurden im Laufe der Zeit die Oktavbogen, die drei Mal gefaltet einen Block von acht Blatt beziehungsweise sechzehn Seiten ergaben. Die Größe einer Oktavseite (Textblock ca. 16 auf 10 cm) entspricht in etwa einer heutzutage üblichen Buchseite eines wissenschaftlichen, gebundenen Buches.

<html> <figure class=„rahmen medialeft“> <a title=„Daniel Chodowiecki via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AChodowiecki_Basedow_Tafel_21_c_Z.jpg“><img width=„512“ alt=„Chodowiecki Basedow Tafel 21 c Z“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/42/Chodowiecki_Basedow_Tafel_21_c_Z.jpg/512px-Chodowiecki_Basedow_Tafel_21_c_Z.jpg“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Buchdruckerei 1770 (Chodowiecki)</figcaption> </figure> </html>

Die berühmten Druckereien der ersten Jahrzehnte des Buchdrucks hatten die Ausmaße größerer Handwerksbetriebe mit kaum mehr als fünfzehn Angestellten, während vor der Erfindung des Buchdrucks beispielsweise allein in Paris die Zunft der Schreiber 6000 Mann stark war.19) Allerdings gab es sehr früh den ersten deutschen Großbetrieb des Nürnberger Anton Koberger, dessen 1470 gegründete Druckerei um 1500 bereits über 24 Pressen verfügte, rund einhundert Drucker, Setzer, Schriftgießer, Illuministen und anderes Hilfspersonal beschäftigte.20)

Der Satz beanspruchte das meiste Personal und noch mehr, wenn das optisch ebenmäßige Bild der frühen Drucke erreicht werden sollte. Dies war aber nicht die Regel, sondern die möglichst zügige Produktion und damit einhergehend der Akkordlohn nach der Menge der gesetzten Lettern: 1702 etwa vereinbarten die Leipziger Druckermeister, dass ein Setzer in einer Woche vier Druckformen in Korpus, sieben in Cicero oder acht in Mittelschrift setzen musste, um seinen Lohn zu verdienen.21) Im 19. Jahrhundert wurden die deutschen Setzer nach der Zahl von 1000 kleinen n bezahlt, wobei 1000 n in einer kleineren Schrift höher entlohnt wurden als 1000 in einer größeren Schrift.22) Leistete er mehr, wurde dies zusätzlich bezahlt, so wie auch die Gesellen an der Druckpresse mehr erhielten, wenn sie mehr als die vorgeschriebene Wochenleistung erbrachten. Auch in England war der Stücklohn Standard.23)

Die mögliche Arbeitsleistung eines Setzers war genau bekannt und betrug je nach Fertigkeit des Setzers zwischen 650 und 1000 Lettern je Stunde einschließlich Einrichten der Form, Reinigen und Ablegen der Typen.24) Von zwei Arbeitskräften an der Presse konnten ca. 18 000 bis 21 000 Bogen in einer Woche oder 3000 bis 3500 an einem Tag an einer Presse gedruckt werden. In jeder Minute konnten also ca. vier Drucke ausgeführt werden.25) Diese Zahl entsprach wohl dem bis in das 19. Jahrhundert hinein erzielbaren Maximum. Winkler hat einige Journale englischer Druckereien aus dem 18. Jahrhundert ausgewertet, die auf Dauer einen geringeren Schnitt zeigen. So lagen gute Regelleistungen bei 160 bis 280 einseitigen Drucken in einer Stunde, konnten aber auch bei einem schlechten Gespann an der Presse auf 120 Drucke (oder 60 Bogen) in einer Stunde sinken. Im Buchdruck seien an einer Presse an einem Tag 750 bis 800 beidseitig bedruckte Bogen der Standard gewesen.26) <html> <figure class=„rahmen medialeft“> <a title=„via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AKoenig's_steam_press_-_1814.png“><img width=„512“ alt=„Koenig&#039;s steam press - 1814“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/79/Koenig%27s_steam_press_-_1814.png/512px-Koenig%27s_steam_press_-_1814.png“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Schnellpresse – der erste bedeutende Fortschritt seit Gutenberg</figcaption> </figure> </html>

In den folgenden 400 Jahren änderte sich die Technik wenig, auch wenn viele Details verbessert wurden. 1620 wurden z. B. vom Niederländer Willem Janszoon Blaeu einzelne Teile, insbesondere die Spindel, aus Messing angefertigt. Allerdings verbreiteten sich diese in Deutschland kaum; 1721 gab es in Nürnberg noch keine Blaeusche Presse. Der Stich einer Buchdruckerei bei Chodowiecki (1770) unterscheidet sich nur wenig von dem zwei Jahrhunderte älteren Holzschnitt Ammans (1568).

Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die mit Dampf angetriebene Schnellpresse von Friedrich Koenig zuerst in London für den Druck der Times (ab 1814) eingesetzt. In Deutschland wurden kurz darauf ebenfalls Werke mit absehbar hohen Auflagen mit Dampf gedruckt. Aber noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Handpresse, wenn auch die neueren aus Stahl gefertigt wurden, für die üblichen Auflagezahlen des Buchdrucks Standard.

<html> <figure class=„rahmen mediaright“> <a title=„By The original uploader was Asb at German Wikipedia (Meyers Konversationslexikon) [Public domain or Public domain], via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ARotations-Buchdruckmaschine_Aufri%C3%9F.jpg“><img width=„512“ alt=„Rotations-Buchdruckmaschine Aufriß“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/5/53/Rotations-Buchdruckmaschine_Aufri%C3%9F.jpg/512px-Rotations-Buchdruckmaschine_Aufri%C3%9F.jpg“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Rotationsmaschine für den Buchdruck</figcaption> </figure> </html>

Zu Beginn des letzten Viertels des 19. Jahrhunderts wurde die Rotationspresse eingeführt. Diese konnten 10–12.000 Bogen des neuen Papiers, das aus Holz hergestellt und auf Rollen geliefert wurde, in einer Stunde drucken. Der Farbdruck wurde eingeführt. Die Maschinen wurden immer größer und präziser, waren teilweise 100 Meter lang und benötigten immer weniger Arbeitskräfte. Im modernen Zeitungs- und Zeitschriftendruck wird von den Maschinen das fertig gebundene Exemplar im digitalen Vierfarbendruck computergesteuert produziert.

<html> <figure class=„rahmen“> <a title=„Sven Teschke [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons“ href=„https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ADE-Zeitungsrollenoffsetdruck_by_Steschke.jpg“><img width=„512“ alt=„DE-Zeitungsrollenoffsetdruck by Steschke“ src=„https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e7/DE-Zeitungsrollenoffsetdruck_by_Steschke.jpg“/></a> <figcaption class=„caption-text“>Moderner Zeitungsdruck</figcaption> </figure> </html>

2.3.3 Die ersten Drucke

Mit der Erfindung der Druckpresse ist nicht zugleich ein neuer Absatzmarkt für neuartige Schriften entstanden. Die Druckschriften traten zunächst neben die Handschriften für die gleiche Nachfrage, die von den Kopisten bislang befriedigt wurde. Die ersten Drucke waren religiöser Natur (Bibeln, päpstliche Bullen, Ablassbriefe), Kalender, Texte antiker Autoren, juristische und andere Sachliteratur in lateinischer Sprache wie das Lateinlehrbuch Donat.27) Amtliche Blätter, Wandkalender, Geschäfts-, Bücher- und Vorlesungsanzeigen, Liedertexte oder Heiligenbildchen sollen das Gros der Drucke ausgemacht haben. Wie viele dieser Einblattdrucke gedruckt wurden, ist nicht bekannt. Hans Luscher in Barcelona hat laut seinen Geschäftsunterlagen 200.000 Ablassbriefe für die Kathedrale zu Oviedo gedruckt, von denen jedenfalls bis 1922 kein einziges Exemplar aufgetaucht ist.28) Vieles ist verloren oder schlummert unerkannt und unsortiert in Archiven, wurde überschrieben oder auf andere Art wiederverwendet. Insgesamt nahm im Laufe der Zeit die Lesefähigkeit zu, die Elementarschulen zeigten einige Wirkung. So wurden landesherrliche Mandate nicht nur verlesen, sondern auch an bestimmten Orten angeschlagen, und vor beiden Reichsgerichten wurde das schriftliche Verfahren eingeführt.29)

Mit der Zeit wurden Flugschriften, Zeitungen und Pamphlete verteilt, die auch von einem eigenen Mitteilungsbedürfnis in gedruckter Form zeugen. Diese Einblattdrucke waren zwar selten von Bauern, Handwerkern oder Soldaten verfasst, richteten sich jedoch auch an diese.30) In diesen Flugschriften wurden neben religiösen auch politische oder nationale Fragen angesprochen, und sie waren – wie die von Martin Luther oder Ulrich van Hutten in Umlauf gebrachten Werke – in deutscher Sprache verfasst.31) Dies war ein Zeichen der Loslösung von der das Wissen beherrschenden katholischen Kirche, die über die lateinische Sprache in den Schriften das Wissen nur wenigen zugänglich machte. Die Kirche nutzte die technische Möglichkeit auch, um durch den Druck von abertausenden Ablassbriefen Einnahmen zu erwirtschaften; verkauft wurde der Seelenfrieden in Deutschland vor allem vom Augsburger Kaufmann Jakob Fugger, dem die Hälfte des Erlöses verblieb.

Für Martin Luther war diese Praxis einer der Hauptkritikpunkte an der katholischen Kirche und motivierte ihn zum Verfassen der 95 Thesen. Er wurde zum meistgelesenen Autor seiner Zeit. Der Großteil der vervielfältigten Worte Luthers waren »Tagesschrifttum, Flugblatt an Flugblatt gereiht«.32) Es wird geschätzt, dass Luthers Schriften bis zum Wormser Reichstag 1521 bereits eine Auflage von über 500.000 Exemplaren erreicht hatten.33) Mit der Reformation begann der Massendruck und endete zugleich die größere Sorgfalt bei der Textkorrektur und beim Satz.34) Die hohen Absatzzahlen der Lutherschen Werke führten zur ersten Änderung des Buchgewerbes:

Bis auf Luther waren die in Deutschland gedruckten Bücher in der Regel große und teure, meist vornehm ausgestattete Folianten oder auch Quartanten, welche man bequem in den Bibliotheken nach damaligem Brauch an die Kette legen, aber nicht in die Welt hinausschleudern konnte, wie die handlichen Oktavbände. Er vorwiegend führte zuerst das demokratische Flugblatt in Quart, die billigen Duodez- und Oktavschriften von wenig Bogen massenhaft in die deutsche Litteratur ein. […] Indem Luther das heftige Kleingewehrfeuer der politischen und kirchlichen Flugschrift gegen das schwere Geschütz der Quartanten und Folianten eröffnete, erhob er erst die Buchdruckerkunst zu ihrer eigentlichen Bedeutung und gewann in ihr einen tausendzüngigen Herold, den keine mündliche Propaganda ersetzen konnte. Lehre und Predigt allein thun es nicht. Sie dringen im günstigsten Fall an das Ohr von Hunderten und Tausenden; die Presse dagegen vermag Hunderttausende und Millionen zu gleicher Zeit für eine neue Idee zu gewinnen und hat denn auch in erster Linie die Reformation zur heiligen Angelegenheit des ganzen Volks erhoben.35)

Luthers Programm wurde durch den Buchdruck zur Massenbewegung,36) die Reformation erschütterte das mittelalterliche Rom in den Grundfesten, brachte das Heilige Römische Reich spätestens im Dreißigjährigen Krieg an den Rand des Zusammenbruchs und hielt jahrhundertelang Päpste, Kaiser und Fürsten in Bann.37) Über die Popularität der Schriften Luthers kam es sogar zu einer Sprachangleichung im Reich; auch wenn sie in den katholischen Gebieten als protestantisch zurückgewiesen wurde, verstand man sie.38)

»Alle Welt lese das Luthersche Neue Testament, ja könne es infolge wiederholten Lesens fast auswendig; selbst Schuster und Frauen disputierten über das Evangelium und trügen die Übersetzung in der Brusttasche mit sich herum«, zitiert Kapp Johann Cochleaus.39) Der hohe Absatz der Werke Luthers hatte belegt, dass das Interesse an Lesestoff nicht auf Geistliche, wenige Gelehrte und Schreiber beschränkt war.

Im Gegensatz zu dem, was viele Urheberrechtsgeschichtsschreibungen einem Glauben machen wollen, be- oder verhinderte die Zulässigkeit des Nachdrucks nicht im Geringsten die Aktivitäten: Tatsächlich hatte der Buchhandel bereits um 1500 seine erste Absatzkrise erlebt, nachdem die Aufnahmefähigkeit der Klöster erschöpft und die Geistlichkeit und Gelehrten »des scheinbar endlosen Stroms kostspieliger Folianten überdrüssig« wurden40) oder, wie Kapp 41) es für die Zeit des ersten publizistischen Auftretens Luthers darstellt: »Kirchenväter und Klassiker, profane und geistliche Gelehrsamkeit traten plötzlich auf dem Büchermarkt in den Hintergrund, sanken zum Teil zu Ladenhütern herab.« Die massenhafte Verbreitung von Luthers Werken zeigte den Druckern und weit über eintausend Buchführern einen neuen Markt und eine Nachfrage nach neuen Texten. Das Interesse an Büchern beschränkte sich keineswegs auf die gebildete Schicht, denn in den wenn auch kleinen bürgerlichen Kreisen lag ein durchaus beachtliches Nachfragepotential. Allerdings waren dies nicht die hochwertigen Drucke, sondern einfache Texte, und auf Grundlage dieses literarischen Bedürfnisses ist die damalige, derbe Volksliteratur entstanden.42)

Die hohe Anzahl an Flugschriften politischer Natur, die von Adligen, Bürgern, Bauern, Gesellen und selbst Dienstboten gekauft wurden, zeigt ein breites Interesse an den gesellschaftlichen Umwälzungen und der wirtschaftlichen Entwicklung, auch wenn über die konkrete Anzahl der Schriften und Leser nur spekuliert werden kann.43) Kapp folgert aus der weiten Verbreitung und der Wirkung der Lutherschen Schriften, dass schon vor der Reformation im deutschen Bürgertum eine große Schicht vorhanden war, welche lebhaften Anteil an der geistigen Bewegung nahm, Bücher kaufte und las.44) Dies wird durch neuere Forschungen bestätigt, wobei allerdings nach 1550 die Verbreitung der Lesefähigkeit wieder abgenommen haben soll45) Für die Jahre 1513–1517 verzeichnet er insgesamt 527 deutschsprachige Novitäten, für das folgende Jahrfünft bis 1523 bereits das Sechsfache, nämlich 3113.46) Die Zahl der lateinischen Schriften betrug 1524 aber immer noch das Dreifache der deutschen Texte.47) Wie hoch die Auflagen der günstigen Bücher waren, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen, da diese – im Gegensatz zu den teuren Bibliotheksexemplaren – fast vollständig untergegangen sind und nur wenige Aufzeichnungen existieren. So weist St Clair darauf hin, dass von den 1676/7 gedruckten 84.000 Fibeln für Schulanfänger heute nur noch ein Exemplar erhalten ist.48) Den billigen Drucken aus dem 16. Jahrhundert war gewiss kein anderes Schicksal bestimmt, vor allem, wenn man die Folgen der in Deutschland tobenden Konfessionskämpfe, die damit einhergehenden Bücherverbote und -verbrennungen bis hin zu den Verwüstungen der Kriege bedenkt.49)

<html> <figure class=„rahmen mediaright“> <img src=„https://www.fatto.de/wiki/lib/exe/fetch.php/geschichte:deutschland:simon_guillain-livres.jpg“ width=„400“/> <figcaption class=„caption-text“>Simon Guillain: Buchhändler (nach Annibale Carracci)</figcaption> </figure> </html>

Neue Leserkreise gab es hauptsächlich in den Städten, kaum auf dem Land. Aber es kamen auch Bücher dorthin. Die Verkäufer, sie wurden Buchführer genannt, waren teilweise Hausierer, Kolporteure oder von Markt zu Markt reisende Kleinhändler, die Gegenstände im Angebot hatten, die auf dem Land nicht hergestellt wurden, wie Scheren, Heilmittel oder eben auch Bücher. Der Hausierer gehörte wie der Kolporteur, dieser trägt (franz. porter) sein Geschäftslokal am Hals (franz. col), zu den ärmeren Händlern. Sie sorgten auch abseits der Schlagadern des Handels für die kapillare Versorgung der Dörfer und kleinen Marktflecken.50) Man fand sie bei der Kirche, an den Eingängen zu den Universitäten, an den Stadttoren oder im Wirtshaus ihre Waren anpreisen. Ein, wenn auch geringes, Bedürfnis nach Lektüre verbreitete sich nach und nach im gesamten Land, das nur durch fahrende Händler befriedigt werden konnte. Beginnend mit der Reformation wurde vermehrt Schulunterricht, sei es durch die Kirche oder die Dorfschulen, angeboten, und auch in kleineren Orten wurden einige Bücher nachgefragt.

Daneben entwickelte sich der Handel weiter, der sich auf den Buchverkauf spezialisierte. Die selbständigen Buchhändler waren zuerst in den Handels- und Universitätsstädten anzutreffen, die oft zugleich eine eigene Druckerei hatten. Da es wirtschaftlich wenig aussichtsreich war, wenn man nur die wenigen Titel eines Druckers anbot, wurden alsbald Bücher unterschiedlicher Drucker aufgenommen, ein Sortiment. Es handelte sich um die ersten Sortimenter, die einen kleineren oder größeren Vorrat unterschiedlicher Bücher erwarben und zum Verkauf anboten:51)

Der Hausierer trägt [die Bücher] von Ort zu Ort auf Jahrmärkte und Messen, aber er verkauft neben seinen Büchern unter Umständen auch andere Waren. Der Buchführer beschränkt sich an seinem ständigen Geschäftssitze mehr auf den ausschließlichen Vertrieb von Büchern und vermittelt […] den Verkehr des lesenden Publikums mit dem Drucker und Verleger.52)

Durch den Handel auf der Messe und der großen Zahl an Druckorten und Buchhandlungen war eine Distribution in die verschiedenen Regionen des Reichs möglich geworden.

Eckhard Höffner 2017/09/29 17:13

ZurückFortsetzung


1)
Krüger S.~117; Braudel S.~431; Febvre/Martin S.~30.
2)
Beckmann S.~137; Febvre/Martin S.~31.
3)
Kluge S.~394.
4)
Dietz S.~1; Musper S.~15.
5)
Curwen S.~15.
6)
Kapp S.~224–230; Kirchhoff S.~5.
7)
Febvre/Martin S.~34–44.
8)
Ersch/Gruber S.~412 (Handel – Buchhandel); Weijers S.~275; Kapp S.~13; Curwen S.~14 (zu Paris).
9)
Ersch/Gruber S.~412 f. (Handel – Buchhandel).
10)
Polydorus Vergilius (De inventoribus rerum, Venedig, 1499), zitiert nach: Gieseke S.~11; Wittmann S.~29, schreibt das Zitat Johannes Campanus zu, der aber erst um 1500 geboren wurde.
11)
Febvre/Martin S.~45–48; Braudel S.~432–434.
12)
Feather S.~7; Hyun.
13)
Wetter S.~278–282; Febvre/Martin S.~52 f.
14)
Febvre/Martin S.~52.
15)
Die Zahlen variieren, vgl. Hanebutt-Benz S.~60; Kapp S.~263 f.; Schottenloher S.~25; Wittmann S.~27. Gieseke S.~13, nennt 62 Druckorte im alten Deutschen Reich. Für England St Clair S.~14.
16)
Boockmann S.~16; Graus S.~408. North/Thomas S.~71, 103, nennen Zahlen von M. K. Bennett (The World's Food, 1954, S. 5), nach dessen Schätzungen in Westeuropa um 1400 45 Millionen, 1450 60 Millionen, um 1500 69 Millionen und 1550 78 Millionen Menschen gelebt haben sollen. Wie man sieht, sind die Schätzungen unsicher, da insbesondere im 13. Jahrhundert Hungerkrisen und Epidemien unter der Bevölkerung deutliche Spuren hinterlassen haben. Zur Problematik der Schätzungen, vgl. Braudel S.~22–66.
17)
Kapp S.~24.
18)
Eine ausführliche Beschreibung der Drucktechnik im 18. Jahrhundert findet sich bei Winkler S.~119–204. Vgl. auch Lorck S.~3–24; Krüger S.~7–16; Braudel S.~434 f. Zu den Arbeitspflichten der Drucker- und Setzergesellen sowie den Korrektoren, vgl. Gramlich S.~64–66.
19)
Sombart S.~719. Renouard S.~25, nennt eine Schätzung von Villaret für Paris und Orléans von über 10\,000 beruflichen Schreibern.
20)
Sombart S.~759, der die Koberger Druckerei als »wohlorganisierte kapitalistische Manufaktur« einordnet und ein damals neuartiges Verhältnis zwischen den Hilfskräften und dem Leiter der Druckerei feststellt.
21)
Die Korpusschrift hat 10, die Cicero 12 und die Mittelschrift 14 Punkte.
22)
Lorck S.~35.
23)
Winkler S.~125–128, für die Setzer und, Winkler, S. 176 f. für die Drucker.
24)
Goldfriedrich S.~10.
25)
Nach Krüger S.~7–16, beträgt die Leistung eines Druckers an der Handpresse höchstens 75 Drucke in der Stunde während Goldfriedrich S.~20–22; Winkler S.~184; Gramlich S.~23; Raven S.~23, von ca. 125 Bogen mit zwei Arbeitskräften, dem Pressen- und dem Ballenmeister, ausgehen. Diese Zahl stimmt mit der von Braudel S.~551, für Lyon 1539 genannten 3000 Seiten an einem Tag überein.
26)
Winkler S.~184–204.
27)
Vgl. Gieseke S.~214 f; Lough S.~31; Wittmann S.~26; Bappert S.~136.
28)
Schottenloher S.~26.
29)
Schmidt 142.
30)
Kapp S.~406–409; Schmidt S.~46.
31)
Hanebutt-Benz S.~48; Schmidt S.~47.
32)
Schottenloher S.~60.
33)
Möller S.~62.
34)
Kapp S.~311.
35)
Kapp S.~408 f.
36)
Gotthard S.~187.
37)
Rublack S.~71 f, weist darauf hin, dass in den Städten höchstens ein Drittel – auf dem Land praktisch niemand – der Bevölkerung lesen konnte und deshalb der Einfluss des Buchdrucks überschätzt werde. Dem ist aber zu entgegnen, dass selbstverständlich auch die Schriften Gegenstand der mündlichen Überlieferung, sei es durch Vorlesen oder Nacherzählen, innerhalb der Gesellschaft waren. Erst durch die Verbreitung der Schriften konnten die Ideen und Gedanken vor Ort kopiert, Auszüge angefertigt oder mündlich tradiert werden, vgl. Gieseke S.~285–288; Wittmann S.~45, der um 1500 die Zahl der Alphabeten in Deutschland auf ein bis höchstens fünf Prozent der Bevölkerung schätzt.
38)
Schmidt S.~146.
39)
Kapp S.~415. Original findet sich in Commentaria de actis et scriptis M. Lutheris Saxonis, S. 55 – 1549
40)
Wittmann S.~48
41)
Kapp S.~411.
42)
Wittmann S.~34 f., 56.
43)
Schmidt S.~46. Vgl. auch Kapp S.~433, 436, nach dem die Buchführer und Hausierer bald ganz Deutschland überschwemmten.
44)
Kapp S.~409.
45)
Siegert S.~447.
46)
Kapp S.~407 f.
47)
Wittmann S.~49.
48)
St Clair S.~27.
49)
Kapp S.~436.
50)
Braudel 72–74.
51)
Kapp 302.
52)
Kapp 274–276.

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